Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Leistungsausschluss bei längerer Unterbringung in stationärer Einrichtung. Strafgefangener im offenen Vollzug. Unterkunft und Heizung. sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anwendbarkeit des § 929 Abs 2 ZPO. Monatsfrist
Leitsatz (amtlich)
Für einen Freigänger, dessen Haftentlassung nicht sicher abzusehen ist, sind Unterkunftskosten zur Erhaltung der Wohnung weder nach den Vorschriften des SGB 2 noch SGB 12 zu übernehmen; Haftdauer ca 10 Monate.
Orientierungssatz
Für die Vollziehung eines im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 2 SGG ergangenen Beschlusses über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 gilt die Einmonatsfrist des § 929 Abs 2 ZPO. Werden Vollstreckungsmaßnahmen von dem Berechtigten nicht innerhalb der Monatsfrist eingeleitet, ist die Vollstreckung aus dem Beschluss unstatthaft und der Beschluss im Beschwerdeverfahren wegen veränderter Umstände aufzuheben (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 22.6.2007 - L 14 B 633/07 AS ER, LSG Mainz vom 26.1.2011 - L 6 AS 616/10 B ER und LSG Schleswig vom 13.12.2010 - L 5 KR 173/10 B ER)
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2011 - S 200 AS 38423/10 ER - aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt M P, L Str., B, beigeordnet; Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.
Gründe
I.
Mit dem am 22. Dezember 2010 beim Sozialgericht Berlin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nebst Kosten für Unterkunft und Heizung seit dem 1. Oktober 2010 sowie die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung für das Jahr 2009 mit Rechnung vom 8. November 2010 in Höhe von 506,82 EUR.
Der 1966 geborene Antragsteller ist Mieter einer 34,54 qm großen Wohnung, für die er seit dem 1. Januar 2011 eine Bruttowarmmiete in Höhe von 325 EUR zu entrichtet hat. Der Antragsgegner gewährte ihm zuletzt mit Bescheid vom 19. April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai 2010 bis zum 31. Oktober 2010 unter Anerkennung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 287,53 EUR. Der Antragsteller stellte sich am 16. August 2010 ausweislich eines Schreibens der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges Berlin (nachfolgend: JVA) vom 16. November 2010 zum Strafantritt zur Verbüßung von drei Restgesamtfreiheitsstrafen bis zum 2. April 2012. Seit Juli 2010 nahm er eine vom Antragsgegner befristete Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung wahr, die mit Strafantritt endete. Am 6. Oktober 2010 wurde der Antragsteller zum Freigang zugelassen. Die Arbeitsmaßnahme wurde im Zuge dessen zunächst wieder aufgegriffen und am 5. November 2010 erneut beendet. Der Antragsteller wird seither im Außenkommando der JVA beschäftigt. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2010 lehnte der Antragsgegner die Weitergewährung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, gegen den der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 200 AS 38423/10 Klage erhoben hat, über die noch nicht entschieden ist.
Das Sozialgericht Berlin hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. Januar 2011 vorläufig verpflichtet, ab dem 22. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 22. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2011 in Höhe von 107,70 EUR und im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 in Höhe von monatlich 359 EUR und Kosten der Unterkunft im Zeitraum vom 22. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2010 in Höhe von 83,56 EUR und im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 in Höhe von 318,53 EUR monatlich zu gewähren; im Übrigen hat es den Antrag sinngemäß zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat am 3. Februar 2011 gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt mit der wesentlichen Begründung, der Antragsteller sei von den Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgeschlossen. Aufgrund der Inhaftierung habe er nach diesem Gesetz keinen Leistungsanspruch. Denn er übe keine Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden aus. Die fehlende Erwerbsfähigkeit werde insofern gesetzlich fingiert.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist schon deswegen aufzuheben, weil die einstweilige Anordnung nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) vollzogen worden ist. Nach dieser Vorschrift ist die Vollziehung des Arrestbefehls (hier der einstweiligen Anordnung) unstatthaft, wenn ...