Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. häusliche Pflege. häusliche Pflegehilfe. körperbezogene Pflegemaßnahmen. gleichzeitige Erbringung medizinischer Behandlungspflege durch dieselbe Pflegekraft. Abrechnung nach Leistungskomplexen. Kostenabgrenzung. Folgenabwägung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frage, wie die Kostenabgrenzung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse bei gleichzeitiger Erbringung von medizinischer Behandlungspflege und körperbezogenen Pflegemaßnahmen durch dieselbe Pflegekraft und Abrechnung nach Leistungskomplexen vorzunehmen ist, lässt sich im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht abschließend klären. Denkbar sind drei Lösungsansätze, nämlich

a) man halbiert die den nicht verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen entsprechenden Leistungskomplexen zugeordneten Beträge und multipliziert diese mit dem dem jeweiligen Pflegegrad zugeordneten Zeitanteil aus den Kostenabgrenzungs-Richtlinien,

b) man multipliziert den in den Kostenabgrenzungs-Richtlinien vorgegebenen Zeitaufwand mit einem (gegriffenen) Stundensatz,

c) man berücksichtigt die Kostenabgrenzungs-Richtlinien lediglich zur Berechnung der von der Krankenkasse für die Behandlungspflege zu tragenden Kosten, dh man zieht von den verordneten Stunden Behandlungspflege die in den Richtlinien festgesetzten Minuten ab und legt für die Berechnung der Kosten der Pflege, auch der Grundpflege, den vollen für die Berechnung der Leistungskomplexe vereinbarten Preis zugrunde.

 

Tenor

Auf die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021 insoweit geändert, als der Antragsgegner dem Antragsteller für die Monate mit 30 Tagen lediglich je 543,00 € (statt je 627,60 €) zuzüglich der tatsächlichen Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung vorläufig zu zahlen hat.

Im Übrigen wird die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts bleibt unberührt.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 20. Oktober 2021 bewilligt und Rechtsanwältin M G, Dstraße, B beigeordnet.

 

Gründe

I.

Es handelt sich um eine Beschwerde des Antragstellers und eine Anschlussbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Juli 2021, mit dem dieses den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig ab Januar 2021 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Hilfe zur Pflege in Höhe von 627,60 € monatlich zuzüglich der tatsächlichen Aufwendungen für die hauswirtschaftliche Versorgung zu gewähren und den darüberhinausgehenden Antrag, die gesamten durch Einkommen und Leistungen der Pflegekasse ungedeckten Kosten zu übernehmen, abgelehnt hat.

Der 1967 geborene Antragsteller leidet an einem frühkindlichen Hirnschaden. Für ihn sind vom Versorgungsamt Frankfurt (Oder) ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen B (Notwendigkeit ständiger Begleitung), G (erheblich gehbehindert), H (Hilflosigkeit) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Er steht unter Betreuung seiner Mutter und seines Bruders. Er bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg eine Rente wegen Erwerbsminderung, die ab Juli 2019 212,39 € monatlich betrug. Weiter bezieht er Kindergeld jeweils in gesetzlicher Höhe. Weitere Einkünfte erzielt er nicht. Aktuell bezieht er vom Antragsgegner keine Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weil ein Vermögen von ca. 10.000 € vorhanden war. Einen Teil dieses Geldes hat er inzwischen für die Begleichung von Investitionskosten der Beigeladenen zu 3) verwendet.

Für den Antragsteller war bis Ende Mai 2019 der Pflegegrad 2 festgestellt. Im März 2019 befand er sich in stationärer Behandlung im Klinikum B wegen eines Status epilepticus nach operativer Behandlung eines Meningeoms mit Aspirationspneumonie. In deren Folge war am 12. Juni 2019 eine Tracheostoma-Versorgung erforderlich. Seitdem ist der Antragsteller bettlägerig und kaum ansprechbar. Es wurde eine PEG [Perkutane endoskopische Gastrostomie] angelegt, über die Nahrung und Flüssigkeit zugeführt wurde und wird; weiter ein transurethraler Katheter bei vollständiger Harn- und Stuhlinkontinenz. Seit März 2021 konnte eine Sondennahrung am Tag durch die Aufnahme breiiger Nahrung ersetzt werden. Auf Grund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 16. Juli 2019 wurde ihm ab dem 1. Juni 2019 der Pflegegrad 5 zuerkannt. Er wohnt in einer ambulant betreuten Wohngruppe mit mindestens zwei weiteren pflegebedürftigen Personen in der P in W. Die Pflege erfolgt durch die Beigeladene zu 3), der A GmbH, mit der er einen Pflegevertrag abges...

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