Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Folgenabwägung. Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Festbetragsgruppenbildung. Festbetragsfestsetzung. berücksichtigungsfähige Interessen des pharmazeutischen Unternehmers. Glaubhaftmachung
Leitsatz (amtlich)
Wenden sich pharmazeutische Unternehmer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen hoheitliche Maßnahmen, die nur einzelne von ihnen hergestellte oder vertriebene Arzneimittel betreffen, genügt es im Rahmen einer Folgenabwägung nicht, nur die mit diesem Arzneimittel verbundenen Verluste glaubhaft zu machen.
Tenor
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29. September 2023 ( L 4 KR 340/23 KL) gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 7. August 2023 und gegen den Beschluss des Beigeladenen vom 16. Februar 2023 anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 2.500.000 € festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt in der Hauptsache die Aufhebung der Festbetragsfestsetzung für die Festbetragsgruppe „Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer 1“ (Beschluss des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (Antragsgegner) vom 7. August 2023, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16. August 2023) sowie die Aufhebung der Festbetragsgruppenbildung „Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Gruppe 1, in Stufe 2“ (Beschluss des beigeladenen Gemeinsame Bundesausschuss vom 16. Februar 2023). Mit dem Eilverfahren verfolgt sie das Ziel, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 29. September 2023 gegen die o.g. Beschlüsse anordnen zu lassen.
Die Antragstellerin ist ein Pharmaunternehmen, das nach eigenen Angaben seit 1985 im Bereich der Psychiatrie und Neurologie in Deutschland tätig ist und sich insbesondere auf den Vertrieb von Arzneimitteln zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) spezialisiert hat. Sie vertreibt als Zulassungsinhaberin
- seit 2016 das verschreibungspflichtige Arzneimittel M mit dem Wirkstoff Milnacipran - einem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI oder nur SNRI) -, das seit dem 16. März 2016 zur „Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen“ in Deutschland zugelassen ist,
- das verschreibungspflichtige Arzneimittel Venlafaxin-n mit dem Wirkstoff Venlafaxin (als Hydrochlorid), das seit dem 4. November 2019 zur „Behandlung von Episoden einer Major-Depression bei Erwachsenen“ und zur „Rezidivprophylaxe von Episoden einer Major-Depression“ in Deutschland zugelassen ist,
- seit Oktober 2022 das verschreibungspflichtige Arzneimittel D mit dem Wirkstoff Desvenlafaxin - ebenfalls ein SNRI -, das seit dem 3. Mai 2022 zur „Behandlung der Major Depression (MDD) bei Erwachsenen“ in Deutschland zugelassen ist.
Desvenlafaxin ist ein Metabolit von Venlafaxin, einem SNRI, der in Deutschland schon seit vielen Jahren zur antidepressiven Therapie zugelassen ist. Bei einer MDD handelt es sich nach Angaben der Antragstellerin um eine besonders ausgeprägte, schwere Depression, die von mehrtägigen oder mehrwöchigen depressiven Episoden geprägt ist.
Am 16. Februar 2023 beschloss der Beigeladene u.a. die Neubildung der Festbetragsgruppe der Stufe 2 „Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Gruppe 1“ für die Wirkstoffe Desvenlafaxin, Milnacipran und Venlafaxin. Außerdem setzte der Beigeladene Vergleichsgrößen für jeden Wirkstoff fest, auf Grundlage dessen die späteren Festbeträge durch den Antragsgegner berechnet wurden.
Der Beigeladene begründete die Bildung der Festbetragsgruppe damit, dass die in die Festbetragsgruppe einbezogenen Wirkstoffe Desvenlafaxin, Milnacipran und Venlafaxin pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar seien, weil alle einbezogenen Wirkstoffe zur Substanzklasse der SNRI gehörten. Über die Hemmung der neuronalen Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme erhöhten sie die Aktivität dieser Neurotransmitter im ZNS. Den Wirkstoffen sei damit ein für die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich bestimmender vergleichbarer Wirkmechanismus gemein. Darüber hinaus hätten alle von der Festbetragsgruppe erfassten SNRI aufgrund ihrer arznei-mittelrechtlichen Zulassung in dem Anwendungsgebiet „Major Depression“ einen gemeinsamen Bezugspunkt, aus dem sich die therapeutische Vergleichbarkeit ergebe. Therapiemöglichkeiten würden nicht eingeschränkt, medizinisch notwendige Verordnungsalternativen stünden zur Verfügung.
Die Antragstellerin hat am 29. September 2023 Klage gegen den o.g. Beschluss des Antragsgegners erhoben und zugleich vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Zu dessen Begründung tragen ihre Prozessbevollmächtigten vor:
Entgegen der Ansicht des Beigeladenen sei eine pharmakologisch-therapeutische Vergleichbarkeit der Wirkstoffe Desvenlafaxin, Milnacipran und Venlafaxin nicht gegeben. Desvenlafaxin sei in einer Reihe pharmakokinetischer Parameter anderen SNRI deutlich überlegen, unterscheide sich - insbesondere wegen eines anderen Rezeptorbindu...