Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Ausschreibung selektiver Lieferverträge zwischen einzelnen Apotheken und einer Krankenkasse. Beschwerdebefugnis. öffentlicher Auftraggeber. normaler Versorgungsweg. Aufschlüsselung der Verordnungsdaten in Ausschreibung. Diskriminierungsverbot. Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerb

 

Orientierungssatz

1. Eine Apotheke ist bei einem Rechtsstreit über die Ausschreibung selektiver Lieferverträge zwischen einzelnen Apotheken und einer Krankenkasse beschwerdebefugt. Ihrem Begehren fehlt es nicht deshalb generell am Rechtsschutzbedürfnis, weil sie bereits das Nachprüfungsverfahren nicht zulässig betrieben hat. Sie war und ist vielmehr antragsbefugt nach § 107 Abs 2 GWB.

2. Bei einer gesetzlichen Krankenkasse handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber iS des § 98 Nr 2 GWB.

3. Aus dem Zusammenspiel des § 129 Abs 5 S 3 SGB 5 mit § 11 Abs 2 ApoG (als Ausnahme der Regel des Verbotes nach § 11 Abs 1 ApoG) ergibt sich nicht, dass der normale Versorgungsweg ausgeschlossen ist.

4. Fehlende Angaben zum Aut-idem-Ausschluss begründen keinen Verstoß gegen das einfachgesetzlich in § 97 Abs. 2 GWB normierte Diskriminierungsverbot.

5. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerb liegt vor, wenn an der Ausschreibung ein Bieter teilnimmt, dem nach dem gewöhnlichen Verlauf (ganz oder teilweise) das Angebot oder zumindest die Angebotsgrundlagen eines Mitbewerbers um den Zuschlag bekannt sind (vgl OLG Düsseldorf vom 13.09.2004 -VI-W 24/04 ≪Kart≫).

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 19. April 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens gemäß § 118 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beschwerdegegnerin. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten durch die Beschwerdegegnerin war notwendig.

 

Gründe

Die Beschwerdegegnerin hat ihren Sitz in Potsdam. Sie schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 19. Januar 2010 den Abschluss von Verträgen gemäß § 129 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -SGB V- (Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer) zur Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten im Offenen Verfahren europaweit aus.

Sie hatte den AOK-Bundesverband mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragt. Der streitige Auftrag betrifft die Versorgung auf dem Gebiet des Landes Berlin und ist in 13 Gebietslose, aufgeteilt nach Postleitzahlen, unterteilt. Die Gebietslose weichen im räumlichen Zuschnitt von der Aufteilung der Verwaltungsbezirke in Berlin ab.

Die Bekanntmachung bestimmte zunächst, dass Angebote “nur für ein Los" eingereicht werden sollten. Die Rahmenvereinbarungen sollten grundsätzlich für ein Jahr, beginnend ab dem 01. April 2010 abgeschlossen werden. Zuschlagskriterium ist nach Ziffer IV.2.1 der niedrigste Preis. Varianten/Alternativangebote waren nicht zugelassen. Als Schlusstermin für den Eingang der Angebote war zunächst der 02. März 2010, 12.00 Uhr bestimmt.

Bestandteil der an die Interessenten versandten Verdingungsunterlagen war als Anlage 1 der Entwurf des Vertrages gemäß § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V über die Versorgung mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten (Rahmenvertrag). Als Anhang 1 zu diesem Rahmenvertrag übersandte die Beschwerdegegnerin ein Produktblatt, das Angaben zu den Abgabevolumina je Gebietslos - jeweils in mg pro Wirkstoff - abbildet. Je Wirkstoff solle durch die Bieter ein Preis pro Milligramm angeboten werden. In Ziffer 10 der Bedingungen für die Auftragsvergabe wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, dass sie Angaben zu dem voraussichtlichen Auftragsvolumen nur auf der Basis von Erfahrungswerten und Analysen aus der Vergangenheit machen könne. Künftige Mengen der für die Versicherten herzustellenden parenteralen Lösungen würden insbesondere vom Gesundheitszustand der AOK-Versicherten, dem Verordnungsverhalten der Ärzte sowie der vom Gesetzgeber vorgegebenen Struktur der ambulanten Versorgung abhängen. Auch die künftige Struktur und Anzahl der onkologischen Praxen bzw. der ambulant behandelnden Ärzte in dem jeweiligen Gebietslos könne Einfluss auf die Mengen haben. Insbesondere der Zu- und/oder Wegzug von Ärzten und/oder Praxen könne solche Schwankungen bewirken. Die im Produktblatt angegebenen Mengen seien auf das erste Halbjahr 2009 bezogen und stellten das gesamte von den Ärzten verordnete Volumen in diesem Zeitraum dar, das für Versicherte der AOK Berlin-Brandenburg in Berlin verordnet wurde.

Nach den Verdingungsunterlagen sind Bietergemeinschaften zugelassen, soweit ihre Bildung durch die Mitglieder im Einzelfall rechtmäßig ist. Es gelte das Gebot des Geheimwettb...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge