Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzbedürfnis. aufschiebende Wirkung. Anwendung des § 154 Abs. 2 SGG auf Träger der Grundsicherung. analoge Anwendung des § 154 Abs. 2. Beträge für Zeiten vor Erlass des Urteils
Orientierungssatz
1. Hat eine Beschwerde aufschiebende Wirkung, hat der Beschwerdeführer bereits die Rechtsposition inne, die ihm nach SGG § 199 eingeräumt werden kann. Dem Antrag auf Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. In Fällen dieser Art hat auch nicht “klarstellend„ ein Ausspruch nach SGG § 199 Abs 2 zu erfolgen.
2. SGG § 154 Abs 2 findet auch dann Anwendung, wenn ein Leistungsträger nach dem SGB II Rechtsmittelführer ist (Fortführung: LSG Berlin-Brandenburg, 2007-06-22, L 18 B 970/07 AS).
3. Soweit aktuell für das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII (juris: SGB 12)) die gegenteilige Auffassung vertreten wird (angesichts der Thematik außerhalb des Instanzenzugs stehende Entscheidung des BSG; vgl. BSG, 2009-12-08, B 8 SO 17/09 R, SozR 4-1500 § 154 Nr 1), erzeugt dies nicht.
Tenor
Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2010 durch einstweilige Anordnung auszusetzen, wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Aussetzungsverfahren nach § 199 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe
Nach § 199 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Vorsitzende des Gerichts, das über ein Rechtsmittel zu entscheiden hat, welches keine aufschiebende Wirkung hat, durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aussetzen. Er kann die Aussetzung und Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen (Satz 2).
Die hier erhobene Beschwerde hat aufschiebende Wirkung nach § 154 Abs 2 SGG. Die Beklagte hat deshalb die Rechtsposition, die ihr durch eine einstweilige Anordnung nach § 199 Abs 2 SGG eingeräumt werden kann, bereits inne, so dass dem Antrag auf Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Der Auffassung, dass in Fällen dieser Art “klarstellend„ ein Ausspruch nach § 199 Abs 2 SGG zu erfolgen hat (Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 199 RdNr 11 aE), wird hier nicht gefolgt, da kein Grund dafür gesehen wird, einen der Rechtslage nicht entsprechenden Beschluss an die Stelle der Erläuterung der maßgeblichen Gesichtspunkte zu setzen.
Nach § 154 Abs 2 SGG bewirken die Berufung und die Beschwerde nach § 144 Abs 1 ≪SGG≫ (gemeint § 145 SGG - dazu, dass insoweit ein Reaktionsversehen in Form einer fehlenden Anpassung vorliegt vgl Behn in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, § 154 RdNr 1; Knecht in Breitkreuz/Fichte, SGG, § 154 RdNr 2) eines Versicherungsträgers oder in der Kriegsopferversorgung eines Landes„ (insoweit ist das gesamte soziale Entschädigungsrecht gemeint, die redaktionelle Anpassung ist unterblieben, Behn, aaO, RdNr 9; Knecht aaO) Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. § 154 Abs 2 SGG findet auch dann Anwendung, wenn ein Leistungsträger nach dem SGB II Rechtsmittelführer ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v 22. Juni 2007 - L 18 B 970/07 AS, zit nach juris-Datenbank; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 154 RdNr 3 mwN; Hk-SGG/Binder § 154 RdNr 10; Knecht in Breitkreuz/Fichte aaO § 154 RdNr 6). Soweit aktuell für das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die gegenteilige Auffassung vertreten wird (angesichts der Thematik außerhalb des Instanzenzugs stehender Beschluss des Vorsitzenden des 8. Senats des BSG vom 08. Dezember 2009 - B 8 SO 17/09 R), überzeugt dies nicht. Soweit in diesem Beschluss davon ausgegangen wird, die Erstreckung des § 154 Abs 2 SGG auf Träger des SGB XII könne nur im Wege der analogen Anwendung (nicht aber durch erweiternde Auslegung) erfolgen; dafür fehle es aber an einer Gesetzeslücke, bleibt das nahe liegende Gegenargument außer Betracht, dass notwendige Anpassungen der Vorschrift geradezu regelhaft unterblieben sind (dazu die bereits bezeichneten “Ungenauigkeiten„). Es hätte mithin aktiv begründet werden müssen, dass dem “Schweigen des Gesetzgebers„ im vorliegenden Zusammenhang positiver Erklärungswert zukommt. Zudem vermag die Aussage, es bestehe (im Vergleich zu Versicherungsleistungen und Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts) keine gleichartige Interessenlage, wenn es um Leistungen der Existenzsicherung gehe, ohne weitere Begründung nicht zu überzeugen. Auch die von § 154 Abs 2 SGG ausdrücklich umfassten Leistungen sind regelmäßig existenzsichernd und nur im Spitzbetrag darüber hinausgehend. Die entscheidende Wertung des § 154 Abs 2 SGG liegt darin, die Zeiträume zu scheiden. Die typischerweise höhere Richtigkeitsgewähr der mit dem Rechtsmittel angegriffenen gerichtlichen Entscheidung im Vergleich zur vorangegangenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung soll zur Konsequenz haben, dass diese Entscheidung zukünftig zu befolgen ist. Daran soll aber nicht die weite...