Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. fehlender Anordnungsgrund. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Darlehen für Mietschulden. verschuldeter Mietrückstand. noch keine Ankündigung der Zwangsräumung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs 3 S 1 Halbs 1, 9 Abs 1 SGB 2 enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können.

2. Ein Anordnungsgrund kann im Falle der begehrten Mietschuldenübernahme grundsätzlich erst ab der Ankündigung der Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung angenommen werden.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers vom 10. Juni 2010 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2010, mit dem der sinngemäße Antrag,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Mietschulden des Antragstellers in Höhe von 2.803,23 EUR zu übernehmen,

zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

Der amerikanische Antragsteller, der seit dem 10. Oktober 2008 Arbeitslosengeld II bezieht und dessen Antrag auf Übernahme der seit Dezember 2009 entstandenen Mietschulden mit Bescheid des Antragsgegners vom 8. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010 abgelehnt worden ist, hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund - also ein eiliges Regelungsbedürfnis - mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG], 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Dem Antragsteller fehlt es an einem Anordnungsanspruch, wobei als Anspruchsgrundlage allein die §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 22 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Betracht kommen. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht, wobei Geldleistungen zur Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II als Darlehen erbracht werden sollen.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II sind hier nicht erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob eine drohende Wohnungslosigkeit bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil eine solche Situation wegen des entspannten Wohnungsmarktes in Berlin nicht zu befürchten ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2010, L 29 AS 2052/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris). Jedenfalls ist die Mietschuldenübernahme hier nicht gerechtfertigt. Bei Beachtung des in den §§ 2, 3 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 9 Abs. 1 SGB II enthaltenen Selbsthilfe- und Nachranggrundsatzes, aus dem auch folgt, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich jedes Verhalten, das seine Hilfebedürftigkeit erhöht, zu unterlassen hat, kann von einer gerechtfertigten Schuldenübernahme regelmäßig nur dann die Rede sein, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER, abrufbar bei der Datenbank Juris). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die begehrte Mietschuldenübernahme hier ausgeschlossen, da der Antragsteller die Mietschulden pflichtwidrig verursacht hat, indem er die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach eigenen Angaben nicht zweckentsprechend eingesetzt, sondern seine in Amerika lebende Mutter unterstützt hat. Der Antragsteller durfte die Mietzahlungen nicht im Vertrauen darauf unterlassen, dass der Antragsgegner die Schulden später übernimmt. Vor diesem Hintergrund braucht hier auch nicht entschieden zu werden, ob die Mietschuldenübernahme auch deshalb nicht gerechtfertigt ist, weil die tatsächlichen Mietaufwendungen des Antragstellers, der gegenwärtig für seine 64 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung monatlich eine Bruttowarmmiete in Höhe von 425,- EUR an den Vermieter zu entrichten hat, als unangemessen anzusehen sind.

Einem Anordnungsgrund steht bereits entgegen, dass die Räumung der Wohnung im Wege der Zwangsvollstreckung hier noch nicht konkret angekündigt worden ist. Vor diesem Zeitpunkt kann ein eiliges Regelungsbedürfnis grundsätzlich...

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