Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw Sozialhilfe. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthaltsrecht aus Art 10 EUV 492/2011. Verfassungsmäßigkeit. Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland. Europarechtskonformität. Europäisches Fürsorgeabkommen. Gleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Mit Einführung der Überbrückungsleistung nach § 23 Abs 3 SGB XII hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass eine freiwillige Ausreise von EU-Ausländern ohne Aufenthaltsrecht zumutbar und erwartbar ist.
2. Erwerbsfähige EU-Ausländer haben auch in Verbindung mit dem EFA (juris: EuFürsAbk) keinen Anspruch auf Sozialhilfe nach dem SGB XII, da das Europäische Fürsorgeabkommen lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Inländern, nicht aber einen eigenen Sozialhilfeanspruch für Ausländer regelt.
Orientierungssatz
Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB 2 bzw § 23 Abs 3 S 1 Nr 3 SGB 12 sind weder verfassungs- noch europarechtswidrig.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S L, B Straße, B, bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der 1968 geborene Antragsteller zu 1), seine 1974 geborene Ehefrau, die Antragstellerin zu 2), und ihre 2002 und 2009 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3) und 4) sind spanische Staatsangehörige und Anfang Juli 2014 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Hier hat die Antragstellerin zu 2) laut Arbeitsvertrag vom 1. Juli 2014 bis zum 10. Dezember 2014 gearbeitet. Die monatliche Arbeitszeit betrug 58 Stunden, das Bruttogehalt 500,00 €. Weitere Arbeitstätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland haben der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) nicht nachgewiesen. Der Antragsteller zu 3) besuchte seit dem 1. August 2014 eine Grundschule in B.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2017 hatte das Jobcenter B den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von März 2017 bis Dezember 2017 i.H.v. 1604,64 € und für die Zeit von Januar 2018 bis Februar 2018 i.H.v. 1600,64 € gewährt. Am 18. August 2017 bezogen die Antragsteller die aus dem Rubrum ersichtliche Wohnung in Berlin- und beantragten am 11. August 2017 nunmehr bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II.
Mit Bescheid vom 4. August 2017 hob das Jobcenter B wegen des Umzuges und des Wechsels der Zuständigkeit den Bescheid vom 9. Februar 2017 auf. Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 25. August 2017 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ab.
Den Antrag der Antragsteller vom 1. September 2017 auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 19. September 2017, nach Beiladung des Landes Berlin, vertreten durch das Bezirksamt P - Amt für Soziales, ab. Zur Begründung führte es unter anderem aus, die Antragsteller seien gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Es sei kein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche glaubhaft gemacht. Sofern die Antragsteller darauf verweisen würden, dass die Antragsteller zu 3) und 4) aufgrund ihres Schulbesuches ein anderes Aufenthaltsrecht abgeleitet aus der unionsrechtlichen Regelung des Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ableiten könnten, könne dahingestellt bleiben, ob ein solches Aufenthaltsrecht bestehe, da Ausländer mit einem Aufenthaltsrecht wegen Schulbesuchs gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II ebenfalls von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien (vergleiche hierzu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017, L 13 AS 113/17 B ER, zitiert nach juris, dort Rn. 18). An der Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit höherrangigem Recht bestehe für die Kammer kein Zweifel (vergleiche hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. August 2017, L 6 AS 783/17 B ER, zitiert nach juris, dort Rn. 30 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Juni 2017, L 12 AS 807/17 B ER, zitiert nach juris, dort Rn. 31 mit weiteren Nachweisen; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2017, L 11 AS 247/17 B ER). Der Antragstellerin zu 2) stehe gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU auch kein Aufenthaltsrecht aus Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft zu, da diese lediglich von Juli bis Dezember 2014 und mithin weniger als ein Jahr abhängig beschäftigt gewesen sei. Anderweitige materielle Aufenthaltsrechte seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Antragsteller könnten diese auch nicht aus § 41 a Abs. 7 S. 1 Nr. 1 SGB II einen Anordnungsanspruch gel...