Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berechtigte. Leistungsausschluss für Ausländer bei Einreise zur Arbeitsuche. Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung
Orientierungssatz
Die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 ist gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Diese Auslegung ergibt, dass für Ausländer, die Unionsbürger sind, aufgrund der nach Art 12 EG verbotenen Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit kein Leistungsausschluss besteht, jedenfalls nicht nach Ablauf eines dreimonatigen rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 15. Dezember 2006 bis zum 31. Mai 2007 in Höhe von 221,- € monatlich zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz zu erstatten.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. R. bewilligt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung - vorläufige - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - SGB II -.
Der 1991 geborene Antragsteller ist schwedischer Staatsangehöriger bosnischer Herkunft. Das Amtsgericht K (S) übertrug mit rechtskräftigem Urteil vom 24. März 2006 das Sorgerecht über den Antragsteller von dessen Vater A H auf seinen am 1939 geborenen Großvater R H. Der Antragsteller reiste zusammen mit seinem Großvater im Juli 2006 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bezirksamt N von B - Bürgeramt/Meldestelle - stellte dem Antragsteller am 27. Juli 2006 eine Bescheinigung gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU - aus. Danach ist er nach Maßgabe dieses Gesetzes zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Der Antragsteller besucht die T-M-Oberschule. Er und sein Großvater, der eine Rente in Höhe von umgerechnet 56,- € von der schwedischen Versicherungskasse bezieht, lebten zunächst bei einer in Berlin wohnenden Tante des Antragstellers und Tochter des Großvaters, sie bewohnen seit Februar 2007 eine eigene Wohnung.
Der Antragsteller stellte am 15. August 2006 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mit Bescheid vom 28. September 2006 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab mit der Begründung, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Den gegen die versagende Entscheidung am 27. November 2006 eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2006 als unzulässig zurück. Die Antragsgegnerin sah in dem Widerspruch des Antragstellers zugleich einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB X -, den sie mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 ablehnte. Die Überprüfung habe ergeben, dass der Bescheid vom 28. September 2006 nicht zu beanstanden sei. Es sei weder das Recht unrichtig angewandt, noch sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist nach Aktenlage noch nicht entschieden worden.
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2006 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse dem Großvater des Antragstellers Kindergeld für diesen ab September 2006 in Höhe von 154,- € monatlich.
Das Sozialgericht Berlin (Aktenzeichen: S 2 SO 2901/06 ER) hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2006 in dem Verfahren wegen einstweiligen Rechtsschutzes des Großvaters des Antragstellers die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid des Landes Berlin - Bezirksamt N von B vom 28. November 2006 angeordnet. Das Land Berlin - Bezirksamt N von B gewährt dem Großvater des Antragstellers Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches - SGB XII -.
Am 15. Dezember 2006 hatte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Regelleistungen gemäß SGB II zu gewähren. Er halte sich erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Leistungsanspruch ergebe sich aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens. Er sei in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um hier die Schule zu besuchen. Grund für die Einreise sei nicht der Wunsch gewesen, hier zu arbeiten, sondern letztlich Erwägungen seines Großvaters zu seinem, des Antragstellers, Kindeswohl.
Das Sozialgericht B hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat ausgeführt, ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Der 15-jährige Antragsteller erfülle zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II. Der Schulbesuch schließe die Erwerbsfähigkeit nich...