Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines weiblichen Unionsbürgers auf Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung von Schwangerschaft bzw. Mutterschutz. Aufenthaltsrecht
Orientierungssatz
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von Leistungen des SGB 2 ausgenommen.
2. Bei unfreiwilliger, von der Arbeitsagentur bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das aus § 2 Abs. 1 FreizügG bestehende Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer während der Dauer von sechs Monaten unberührt.
3. Die Abwesenheit von Deutschland aufgrund eines wichtigen Ereignisses wie Schwangerschaft oder Niederkunft berührt nicht den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts, wenn die Abwesenheit höchstens zwölf aufeinanderfolgende Monate andauert (EuGH Urteil vom 19. 6. 2014, C-507/12).
4. Die Frist kann nicht durch Erziehungsurlaub verlängert werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. September 2019 aufgehoben. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Antragstellerinnen wird zurückgewiesen.
Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Rechtsanwaltes bewilligt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde dagegen, dass er mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. September 2019 verpflichtet worden ist, den Antragstellerinnen für den Zeitraum September 2019 bis Dezember 2019 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 787,67 € monatlich zu gewähren.
Die am 12. Januar 1995 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 23. Juli 2018 geborenen Antragstellerin zu 2). Sie sind kroatische Staatsbürger. Die Antragstellerin zu 1) übte bis zum 28. September 2018 eine weniger als ein Jahr lang andauernde Berufstätigkeit aus. Vom 23. Juli 2018 bis zum 22. Juli 2019 bezog die Antragstellerin zu 1) Erziehungsgeld aufgrund der Geburt der Antragstellerin zu 2). Im April 2019 nahmen sie den am 20. September 1995 geborenen Vater der Antragstellerin zu 2), Herrn A S, der bosnischer Staatsangehörigkeit ist, in ihre Wohnung auf. Gegenwärtig ist die Antragstellerin zu 1) erneut von diesem schwanger. Voraussichtlicher Entbindungstermin ist der 25. April 2020. Einen Aufenthaltstitel für Herrn A S ist trotz mehrmaliger Aufforderung durch den Antragsgegner bisher nicht vorgelegt worden.
Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellerinnen zunächst im 1. Halbjahr 2019 Leistungen. Nachdem im Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerinnen vom 1. Juli 2019 der Einzug des Herrn A S und die Tatsache, dass dieser Arbeitseinkommen erziele, mitgeteilt worden war, forderte der Antragsgegner die
Antragstellerinnen mit Schreiben vom 5. Juli 2019 unter anderem dazu auf, den Verdienst des Herrn A S mitzuteilen. Nachdem die geforderten Unterlagen nicht übersandt worden waren, versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29. Juli 2019 gemäß § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) die Leistung ab dem 23. Juli 2019.
Am 9. August 2019 beantragten die Antragstellerinnen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und machten unter anderem geltend, Herr A S sei nicht der Ehemann der Antragstellerin zu 1), sondern lediglich der Vater der Antragstellerin zu 2). Man sei getrennt. Er wohne lediglich wegen des Kindes in derselben Wohnung. Es gebe kein gemeinsames Haushalten, keine gemeinsamen Konten oder Kassen, jeder kaufe für sich ein, man schlafe getrennt. Es sei ihnen nicht möglich, Angaben über den Verdienst des Herrn A S zu machen.
Mit Beschluss vom 3. September 2019 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig ab dem 3. September 2019 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2019, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 787,67 € monatlich zu gewähren und zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, zwar verblieben Zweifel, inwieweit die Antragstellerinnen hilfebedürftig seien, denn es sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend feststellbar, ob diese mit dem Kindesvater, der im April 2019 in die Wohnung gezogen sei, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II bilden würden oder nicht. Es sei daher anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, die vorliegend zugunsten der Antragstellerinnen ausgehe. Zu gewähren seien der Partner-Regelbedarf für die Antragstellerin zu 1), der Regelbedarf für die Antragstellerin zu 2) sowie 2/3 der Unterkunftskosten. Abzuziehen sei von diesem Bedarf das monatliche Kindergeld. Es ergebe sich damit der monatliche Betrag i.H.v. 787,67 €.
Gegen den ihm am 5. September 2019 zugestellten Beschluss hat...