Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Absetzung freiwilliger Unterhaltsleistungen. Übernahme der gesetzlichen Unterhaltspflicht anstelle des anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft. Unterhaltstitel. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Wesen der Bedarfsgemeinschaft als Einstandsgemeinschaft gebietet es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung, einen Einkommensabzug nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 2 auch dann vorzunehmen, wenn sich innerhalb der Bedarfsgemeinschaft die Unterhaltsleistung als Zuwendung des Einkommensbezieher gegenüber dem einkommenslosen Unterhaltsverpflichteten darstellt, obgleich es sich nach außen um eine freiwillige Leistung handelt.
2. Unabdingbare Voraussetzung für § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 2 ist allerdings, dass die Unterhaltsverpflichtung tituliert ist.
Normenkette
SGB II § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 9 Abs. 2 S. 3
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 19. November 2008 wird abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für Januar 2009 insgesamt 804,78 € Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zu leisten, und zwar dem Antragsteller zu 1) 314,60 €, der Antragstellerin zu 2) 256,60 € und der Antragstellerin zu 3) 233,58 €.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragssteller drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde vom 19. Dezember 2008 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus (SG) vom 19. November 2008 ist zulässig, jedoch nur zu einem geringen Teil begründet.
Der Senat nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, hinsichtlich des Sachverhalts und der Gründe zunächst auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug und macht sie sich zu Eigen (§ 142 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entgegen der Auffassung des SG sind alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Antragsteller und Beschwerdeführer. Dies ergibt die gebotene Auslegung des Begehrens der Antragsteller jedenfalls aufgrund der Klarstellung im Beschwerdeverfahren. Der Senat hält es auch für unschädlich, dass die minderjährige Antragstellerin zu 3) nach wie vor von den Bevollmächtigten der Antragsteller nicht ausdrücklich aufgeführt worden ist. Ersichtlich wollen diese nicht aufgrund bloßer Formalien auf bestehende Ansprüche verzichten.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -).
Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz stellt insbesondere dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist. Ganz allgemein ist ein Zuwarten umso eher unzumutbar, je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschluss vom 4. April 2008 - L 32 B 458/08 AS ER -). Eine solche Situation liegt hier vor:
Bei der im Eilverfahren alleine möglichen und gebotenen summarischen Prüfung steht den Antragstellern höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) zu, als von der Antragsgegnerin bewilligt wurde.
Vom Einkommen der Antragstellerin zu 2) ist nämlich die Unterhaltsleistung an den Sohn des Antragstellers zu 1) FF nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II abzuziehen. Seit dem 13. November 2008 ist diese Unterhaltsverpflichtung nämlich tituliert im Sinne dieser Vorschrift (vgl. Kopie der Urkunde des Jugendamtes C Bl. 34 der Gerichtsakte). Zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Antragstellern, die alleine wohnen und solchen, welche in Bedarfsgemeinschaft stehen, muss es unbeachtlich sein, dass nur die Antragstellerin zu 2) Einkommen erzielt, also auch nur von ihrem Einkommen Abzüge vorgenommen werden können. Das Gesetz unterstellt bei Bedarfsgemeinschaften ein gegenseitiges Einstehen, das nich...