Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung von Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtsschutz für einen Unionsbürger, der ein Aufenthaltsrecht allenfalls zum Zweck der Arbeitsuche besitzt
Orientierungssatz
1. Ein Ausländer, für den ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allenfalls zum Zweck der Arbeitsuche in Betracht kommt, ist nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen. Ein unbeschränktes Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt besteht nicht. Aufenthaltsbeendigende Maßnahmen sind nach Ablauf von sechs Monaten zulässig, wenn der Unionsbürger nicht nachweisen kann, mit konkreter Aussicht auf Erfolg nach Arbeit gesucht zu haben.
2. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Die Nichtanwendung dieser Norm stellt einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar. Ein Gesetz ist nach Art. 100 GG dann nicht anzuwenden, vielmehr das BVerfG anzurufen, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt ist, vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08.
3. Dieser Maßstab gilt auch bei einer vermeintlichen Europarechtswidrigkeit der anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelung.
4. Ist sonach eine Europarechts- bzw. Völkerrechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nicht feststellbar, so ist das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an einer Folgenabwägung gehindert. Diese würde letztlich zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 führen. Bei fehlender Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsanspruchs ist in einem solchen Fall die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu versagen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2013 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin - Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt, beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1975 geborene Antragsteller zu 1) und die 1977 geborene Antragstellerin zu 2) sind miteinander verheiratet und die Eltern der in den Jahren 1995 bis 2011 geborenen Antragsteller zu 3) bis 10). Die Antragsteller sind rumänische Staatsbürger und, bis auf den Antragsteller zu 10), im Besitz von so genannten Freizügigkeitsbescheinigungen nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin vom 28. Dezember 2009 (Antragsteller zu 1] und 2]) bzw. des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg von Berlin vom 2. Februar 2010 (Antragsteller zu 3] bis 9]). Nach einer Anmeldebestätigung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin sind sie seit dem 5. November 2009 in Berlin gemeldet.
Der Antragsteller zu 1) hat ausweislich einer Gewerbeanmeldung des Bezirksamts Neukölln von Berlin vom 1. Dezember 2009 ein Gewerbe mit einer Tätigkeit als “Kleintransporter bis 3,5 t„ angemeldet. Bei dem Antragsgegner gab der Antragsteller zu 1) als ausgeübtes Gewerbe “Abriss mit Kleintransporter„ und “Gebäudereinigung„ an.
Auf ihre Anträge auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II erhielten sie solche von dem Antragsgegner zunächst antragsgemäß bis einschließlich Juni 2012.
Einen Weiterbewilligungsantrag vom 22. Mai 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Juni 2012 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ab und wies den Widerspruch hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2012 zurück. Ein Recht außer zur Arbeitsuche liege nicht vor. Insbesondere sei der Antragsteller zu 1) nicht als “niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger„ im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU zu betrachten, da er als Laubsack- und Schrottsammler tatsächlich nur eine reine Sammeltätigkeit ausübe.
Das Sozialgericht Berlin lehnte mit Beschluss vom 23. Juli 2012 (Az. S 107 AS 16153/12 ER) einen Antrag der Antragsteller zu 1) bis 9) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die hiergegen bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhobenen Beschwerden der Antragsteller wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 6. September 2012 (L 20 AS 1847/12 B ER) zurück. Das Sozialgericht Berlin habe den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, da die Antragsteller vom wirksamen Leistungsausschluss erfasst seien. Eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers zu 1) sei nicht glaubhaft gemacht worden; dieser sei allenfalls als Laub- und Schrottsammler tätig und eine solche Sammeltätigkeit stelle keine “Arbeitsleistung am Markt„ und damit keine selbständige Tätigkeit, die zu einem eigene...