Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen Kostengrundentscheidung. Gesetzesänderung. Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts. Anhängige Rechtsstreitigkeiten. Prinzip der Rechtsmittelsicherheit. Vertrauen auf einen Instanzenzug. Rechtsmittelklarheit. Rechtssicherheit

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG, der Rechtsmittel gegen isolierte Kostengrundentscheidungen ausschließt, ist ohne Übergangsvorschrift anwendbar. Lediglich für bereits anhängige Rechtsmittelverfahren bleibt es bei der Statthaftigkeit der Beschwerde.

 

Normenkette

SGG §§ 193, 172 Abs. 3 Nr. 3; GG Art. 19. Abs. 4, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2008 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die am 7. April 2008 eingelegte Beschwerde gegen den der Klägerin am 25. März 2008 zugestellten Beschluss ist unzulässig. Die Beschwerde gegen Kostengrundentscheidungen ist nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Grund des am 1. April 2008 ohne Übergangsregelung in Kraft getretenen § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG (in das SGG eingefügt durch Art 1 Nr. 29 Buchstabe b des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444) nicht mehr statthaft. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Verfahren bereits anzuwenden.

Da der Gesetzgeber eine ausdrückliche Übergangsregelung nicht getroffen hat, ist die Frage, welche prozessrechtlichen Vorschriften in einer bestimmten Verfahrenslage anzuwenden sind, auf den “Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts„ abzustellen. Er besagt, dass eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst (stellvertretend hierzu wie generell zum folgenden Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90 und 2 BvR 1728/90, BVerfGE 87, 48 mit zahlreichen Nachweisen).

Der genannte Grundsatz erfährt im vorliegenden Fall keine verfassungsrechtlich gebotenen Einschränkungen. Ein Instanzenzug wird durch das Grundgesetz (GG) nicht, im Besonderen auch nicht durch dessen Art. 19. Abs. 4, gewährleistet (ständige Rechtsprechung des BVerfG seit BVerfGE 1, 433; weitere Nachweise auch hierzu in BVerfGE 87, 48). Dem Gesetzgeber ist es deshalb nicht verwehrt, ein bisher statthaftes Rechtsmittel abzuschaffen oder den Zugang zu einem an sich eröffneten Rechtsmittel von neuen einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen.

Aus den sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes lässt sich lediglich für Rechtsmittelverfahren, welche im Zeitpunkt einer Gesetzesänderung bereits anhängig sind, eine generelle einschränkende Konkretisierung des Grundsatzes des intertemporalen Prozessrechts ableiten: Fehlen abweichende Bestimmungen, führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht dazu, dass die Statthaftigkeit eines bereits eingelegten Rechtsmittels entfällt (Prinzip der Rechtsmittelsicherheit). Dies könnte allenfalls der Gesetzgeber selbst durch eine ausdrückliche Regelung bestimmen.

Die Klägerin hatte vorliegend eine nach diesen Grundsätzen vertrauensgeschützte Rechtsposition noch nicht erworben. Denn in dem Zeitpunkt, in dem sie ihre Beschwerde eingelegt hat, war diese nach dem dann bereits geltenden Recht nicht mehr statthaft. Ein Vertrauen auf einen Instanzenzug ist - wie ausgeführt - ohnehin nicht geschützt. Auch aus dem Postulat der Rechtsmittelklarheit, welches sich ebenfalls aus dem Gebot der Rechtssicherheit ableitet und besagt, dass der Rechtssuchenden in klarer Abgrenzung der Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen zu weisen ist (s. BVerfGE 49, 148 [164]), ergibt sich nichts anderes. Denn die Klägerin hätte erkennen können, dass eine Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts nicht mehr statthaft war: In dem Zeitpunkt, in dem sie das Rechtsmittel eingelegt hat, war das Gesetz, welches auf ihre vormalige prozessuale Lage einwirkte, bereits veröffentlicht und galt damit auch ihr gegenüber als bekannt (“formelle Publizität„). Dass die Gesetzesänderung zum 1. April 2008 in Kraft treten und damit den Zugang zur Beschwerde verschließen würde, war absehbar. Denn der Bundestag hatte bereits am 21. Februar 2008 den Gesetzesbeschluss über das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes angenommen (BT-Plenarprotokoll 16/145 S. 15353C; Unterrichtung des Bundesrates am 22. Februar 2008, BR-Drs 126/08). Der Bundesrat hatte am 14. März 2008 und damit noch vor der Entscheidung des Sozialgerichts beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen (BR-Drs 126/08 [Beschluss]). Damit hing das Wirksamwerden des Gesetzes nur noch davon ab, wie lange das Ausfertigungs- und Veröffentlichungsverfahren dauern würde.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin war auch nicht etwa deshalb wenigstens t...

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