Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. § 1a Abs 4 AsylbLG. Zuständigkeit eines anderen Staates in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Dublin-III-Verordnung. Nichtanwendbarkeit bei Zuständigkeit eines anderen Staates nach der Dublin-III-Verordnung. § 1a Abs 2 AsylbLG. vollziehbare Ausreisepflicht. nicht bei Vorliegen einer Aufenthaltsgestattung
Leitsatz (amtlich)
1. § 1a Abs 4 AsylbLG kommt als Rechtsgrundlage für eine Leistungseinschränkung für Personen, die aus einem anderen EU-Land einreisen, für die aber nicht nach dem Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates der EU vom 14. September 2015 sowie Beschluss (EU) 2015/0209 (NLE) vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland eine von der Regelzuständigkeit abweichende Zuständigkeit festgelegt wurde, nicht in Betracht.
2. Leistungsberechtigte, die im Besitz einer Aufenthaltsgestattung sind, sind nicht ausreisepflichtig im Sinne des § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG, eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs 2 oder 3 AsylbLG kommt daher für sie nicht in Betracht.
Orientierungssatz
Hinweis der Dokumentationsstelle: Bei dem in Leitsatz 1 genannten Aktenzeichen (EU) 2015/0209 (NLE) handelt es sich um ein internes Aktenzeichen des Rates der Europäischen Union. Das offizielle Aktenzeichen lautet Beschluss (EU) 2015/1601.
Normenkette
AsylbLG § 1a Abs. 2-4, § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 4; AsylVfG § 55 Abs. 1 S. 1; VO (EU) 604/2013; Beschluss (EU) 2015/0209; Beschluss (EU) 2015/1523; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 193 Abs. 1; ZPO § 127 Abs. 4, § 920 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 24. Februar 2016 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) für die Zeit vom 28. April 2016 bis zum 31. Juli 2016, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache oder dem Wegfall der Aufenthaltsgestattung oder der Ausreise der Antragsteller aus Deutschland, in Höhe von insgesamt 1.295,62 Euro monatlich, für April 2016 anteilig, zu zahlen, wobei auf die Antragsteller zu 1) und 2) jeweils 292,70 Euro monatlich und auf die Antragstellerinnen zu 3) bis 5) jeweils 236,74 Euro monatlich entfallen.
Im Übrigen wird die Beschwerde in dem Verfahren L 15 AY 15/16 B ER zurückgewiesen.
Den Antragstellern wird für das bei dem Sozialgericht Neuruppin anhängig gewesene Verfahren S 14 AY 4/16 ER Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 20. Januar 2016 bewilligt und Rechtsanwältin JW, KLStrN, beigeordnet.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Anordnungsverfahrens zu erstatten. Kosten für das Beschwerdeverfahren L 15 AY 16/16 B ER PKH sind nicht zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren L 15 AY 15/16 B ER Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 29. März 2016 bewilligt und Rechtsanwältin J W, K L Str., N, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Antragssteller wenden sich mit ihren Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 24. Februar 2016, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen ungekürzte Leistungen nach dem AsylblG in Höhe von 1.393,00 Euro abzüglich der Energiepauschale monatlich zu zahlen sowie ihnen für das einstweilige Anordnungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Antragsteller, ein Ehepaar mit drei minderjährigen, in den Jahren 2005 und 2009 geborenen Kindern, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Die Antragstellerinnen zu 2) bis 5) sind am 12. September 2015 und der Antragsteller zu 1) am 3. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wobei ungeklärt ist, auf welchem Wege die Einreise erfolgte, d.h., ob sie sich vorher in Polen aufgehalten haben und dort ggfs. bereits einen Antrag auf Flüchtlingsschutz gestellt haben, wie der Antragsgegner angibt oder, wie sie selbst angegeben haben, über die sogenannte Balkanroute eingereist sind. Sie haben Asylanträge gestellt und sind im Besitz von Aufenthaltsgestattungen. Sie wohnen in einem Übergangswohnheim in R.
Auf ihren Antrag bewilligte ihnen der Antragsgegner, ohne einen schriftlichen Bescheid zu erteilen, Leistungen nach dem AsylblG ab Ende Oktober 2015, wobei die Leistungen für die Zeit ab November 2015 gemäß § 1a AsylblG gekürzt wurden unter weiterem Abzug der Energiepauschale wegen Unterbringung in einem Wohnheim, die Leistungen betrugen z.B. für den Monat Januar 2016 insgesamt 762,69 Euro. Hiergegen legten die Antragsteller am 21. Januar 2016 Widerspruch ein und begehrten höhere Leistungen.
Mit Eingang am 19. Januar 2016 beantragten sie bei dem Sozialgericht Neuruppin den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dem ist der Antragsgegner mit der Begründung entgegengetreten, es bestünde ledig...