Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. europarechtskonforme Auslegung bei Unionsbürgern. Ausländer nach EuFürsAbk
Orientierungssatz
1. Es bestehen Zweifel, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ist, weil die für sie maßgebliche Ermächtigungsnorm des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158 vom 30. April 2004 S. 77) möglicherweise gegen Art. 12 (Gleichbehandlungsgebot) und Art. 18 (Unionsbürgerschaft) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EGV) verstößt (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Mai 2008 - L 14 B 282/08 AS ER).
2. Aus dem von der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ratifizierten Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 (BGBl. 1956 Teil II S. 564) lässt sich unter Umständen herleiten, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht auf die Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates des Abkommens angewandt werden kann.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2008 hinsichtlich der Ablehnung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab dem 27. November 2008 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch unter Anrechnung der bereits gezahlten Beträge zu zahlen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens in vollem Umfang zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2008 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Soweit der Antragsteller mit dieser Beschwerde nunmehr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 27. November 2008 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, begehrt, ist dieses Begehren bei sachdienlicher Auslegung seiner Ausführungen auch schon bei Eingang seiner Beschwerde Gegenstand des Verfahrens gewesen, weil es ihm auch schon seinerzeit ersichtlich darum gegangen ist, die beantragten Leistungen - unter dem Vorbehalt des rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens - (jedenfalls) für die Dauer von sechs Monaten zu erlangen, und zwar beginnend ab dem Zeitpunkt, ab dem der Antragsgegner zur Zahlung vorläufiger Leistungen verpflichtet werden würde. Über dieses Begehren hat das Sozialgericht auf der Grundlage des entsprechend auszulegenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch vollumfänglich entschieden.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers erweist sich darüber hinaus auch als begründet. Insoweit bestehen zunächst hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG keine Bedenken. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, dass sich anhand seiner Verwaltungsvorgänge nicht feststellen lasse, dass der Antragsteller gegen den Bescheid vom 19. Juni 2008, mit dem die nunmehr zuerkannten Leistungen abgelehnt worden sind, Widerspruch erhoben habe, führt dieser Einwand zu keinem anderen Ergebnis. Denn abgesehen davon, dass der Antragsteller durch Vorlage seines Widerspruchsschreibens vom 2. Juli 2008 für das vorläufige Rechtsschutzverfahren in ausreichendem Maße dargelegt hat, dass er dem Bescheid vom 19. Juni 2008 rechtzeitig widersprochen habe, ist hier zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne jede zeitliche Beschränkung bereits früher mit seinem Bescheid vom 13. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 abgelehnt hatte. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller rechtzeitig Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen nach wie vor anhängig ist. Nach § 96 SGG ist der Bescheid vom 19. Juni 2008 Gegenstand dieses Klageverfahrens geworden, weil er den dort ursprünglich allein angefochtenen Bescheid vom 13. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2007 abändert. Der Durchführung eines nochmaligen Widerspruchsverfahrens bedarf es damit hinsichtlich des Bescheides vom 19. Juni 2008 nicht.
Des Weiteren ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch begründet. Denn der Antragsteller hat hinsichtlich der ihm nunmehr zuerkannten Leistungen sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 86b ...