Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit. Untätigkeitsbeschwerde. Richterrecht. kein wirksamer Rechtsbehelf. Verstoß gegen Art 6 MRK. Verfahrensstillstand im Eilrechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsinstitut der "Untätigkeitsbeschwerde" gibt es nicht.
Tenor
Die Untätigkeitsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Die Kläger haben am 25. Oktober 2006 gegen eine Entscheidung des Erweiterten Bundesschiedsamtes vom 15. September 2006 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben; ihr Ziel besteht darin, den Beklagten zur Neubescheidung über einen Vertrag nach § 115 b Abs. 1 SGB V (ambulantes Operieren im Krankenhaus) zu verpflichten. Gleichzeitig haben die Kläger um Gewährung von Eilrechtsschutz nachgesucht. Am 11. September 2007 hat das Sozialgericht offenbar über den Eilantrag (S 79 KA 977/06 ER) und über die vorliegende Klage mündlich verhandelt. Eine Sitzungsniederschrift über die Verhandlung zur Hauptsache befindet sich nicht bei der Gerichtsakte. Seitdem hat das Verfahren keinen Fortgang genommen.
Mit der am 3. April 2008 erhobenen “außerordentlichen Untätigkeitsbeschwerde„ beantragen die Kläger,
den Fortgang des Verfahrens innerhalb einer vom Landessozialgericht zu bestimmenden Frist anzuordnen.
Sie meinen, die Beschwerde sei zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes statthaft nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 19 Abs. 4 GG. Der eingetretene Verfahrensstillstand sei sachlich nicht zu rechtfertigen.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig und daher entsprechend § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu verwerfen.
Eine Untätigkeitsbeschwerde ist derzeit im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. hierzu und zum Folgenden mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21. Mai 2007, B 1 KR 4/07 S, zitiert nach juris). Rechtsbehelfe müssen jedoch in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen. Die rechtliche Ausgestaltung des Rechtsmittels soll dem Bürger insbesondere die Prüfung ermöglichen, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist. Deshalb geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) davon aus, eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde sei kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 8. Juni 2006, NJW 2006, S. 2389 ff, Sürmeli / Deutschland). Hieran gemessen verbleibt kein Raum dafür, zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ohne gesetzliche Grundlage durch Richterrecht eine Untätigkeitsbeschwerde zu schaffen, um auf ein laufendes Verfahren einzuwirken. Dementsprechend haben auch der Bundesfinanzhof ( Beschluss vom 4. Oktober 2005, II S 10/05) und das Bundesverwaltungsgericht ( Beschluss vom 5. Dezember 2006, L 10 B 68/06; zitiert jeweils nach juris) entschieden, dass es ein Rechtsinstitut der “Untätigkeitsbeschwerde„ nicht gibt.
Nach Durchsicht der Akten verkennt der Senat nicht, dass aus Sicht der Kläger tatsächlich ein Verfahrensstillstand eingetreten ist, der besonders im Verfahren des Eilrechtsschutzes unvertretbar erscheint und der umso gravierender wirkt, als die Akten des Eilverfahrens offenbar im Sozialgericht abhanden gekommen sind. Die letzte Information geht insoweit dahin, dass im November 2007 ein Beschluss diktiert worden sei; ob er auch geschrieben worden sei, könne aber schon nicht mehr nachvollzogen werden. Aus oben genannten Gründen fehlt dem Senat indessen eine Einwirkungsmöglichkeit auf das erstinstanzliche Verfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen