Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenzrüge. Kompressionsstrümpfe. Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Abweichung von oberstgerichtlicher Entscheidung. mehrere selbständige Urteilsgründe. Zeitpunkt. Existenz der abweichenden oberstgerichtlichen Entscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Eine Abweichung von einer Entscheidung des BSG liegt nicht schon dann vor, wenn das Sozialgericht einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Berufung wegen Divergenz.

2.) Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die - wie hier - den Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen tragen, muss in der Nichtzulassungsbeschwerde für jede der Begründungen ein Berufungszulassungsgrund geltend gemacht werden.

3.) Ein Abweichen eines Urteils des Sozialgerichts von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts setzt begriffsnotwendig voraus, dass bereits eine anders lautende Entscheidung des Bundessozialgerichts existent ist. Ein "Nachschieben von Gründen" nach Ablauf der Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht mehr möglich.

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2006 ist gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Nach § 144 Abs.1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 Euro nicht übersteigt. Das ist hier der Fall, weil die Klage auf Erstattung von Kosten der häuslichen Krankenpflege in Höhe von 349,16 Euro gerichtet ist.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, weil sowohl die Voraussetzungen der Erstattung der Kosten für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen als Leistung der häuslichen Krankenpflege in Abgrenzung zu Leistungen der Pflegeversicherung als auch die des Bestehens eines Erstattungsanspruchs im Falle der Unwirksamkeit eines vom Versicherten mit einem Leistungserbringer abgeschlossenen “Selbstbeschaffungsvertrages„ durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, nämlich durch die Urteile vom 30. Oktober 2001 (B 3 KR 2/01 R, [SozR 3-2500 § 37 Nr. 3 Rdnrn. 13 ff.]) sowie vom 17. März 2005 (B 3 KR 9/04 R, [SozR 4-2500 § 37 Nr. 4 Rdnrn. 18 ff.]) hinsichtlich der erstgenannten Rechtsfrage und durch das Urteil vom 3. August 2006 (B 3 KR 24/05 R, zitiert nach juris) hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage geklärt ist. Dementsprechend beruft sich die Klägerin für die Zulassungsfähigkeit der Rechtssache auch nicht auf ihre grundsätzliche Bedeutung.

2. Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts weicht auch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht von den vorgenannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 17. März 2005 und vom 3. August 2006 ab. Wer sich auf den Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Sozialgericht einerseits und in einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese miteinander unvereinbar sind (vgl. BSG, Beschluss vom 27.6.2005 - B 1 KR 43/04 B; BSG, Beschluss vom 18.7.2005 - B 1 KR 110/04 B - m.w.N.; BSG, Beschluss vom 24.1.2007 - B 1 KR 155/06 B - RdNr 8 m.w.N. ). Erforderlich ist, dass das Sozialgericht bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 26 S. 44 f.). Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin hierfür darlegen müssen, dass das Sozialgericht einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem anderen Rechtssatz aufgestellt hat, den das Bundessozialgericht in den zitierten Entscheidungen entwickelt und angewendet hat, un...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge