Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Bemessungsentgelt. Berücksichtigung nichtgezahlten Arbeitsentgelts. Zuflussfiktion. Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. § 134 Abs 1 SGB 3 aF setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich über das Arbeitsentgelt verfügen muss. Nach § 134 Abs 1 S 2 SGB 3 ist es ausreichend, wenn der Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit die fällige Vergütung nicht zahlt und keine Manipulation zulasten der Versichertengemeinschaft vorliegt.
2. Diese Auslegung steht im Einklang mit Art 3 Abs 1 GG.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Mai 2004 wie folgt geändert wird:
Der Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 24. Juli 2002 zu ändern und der Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01. Juli 2002 bis zum 31. Dezember 2002 ein Bemessungsentgelt in Höhe von 795,00 € zugrunde zu legen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nach Abschluss eines Teilvergleiches in der Berufungsinstanz über die Höhe des bei der Berechnung von Arbeitslosengeld (Alg) zu Grunde zu legenden Bemessungsentgeltes.
Der 1962 geborene Kläger war seit Juni 1995 bei der Firma S B GmbH in E, zuletzt als Bauleiter, beschäftigt. Im Monat Februar 2002 leistete er Kurzarbeit und erhielt Kurzarbeitergeld. Nach der von der ehemaligen Arbeitgeberin ausgestellten Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 betrug das monatliche Bruttoentgelt des Klägers für eine 39-Stundenwoche im Juli 2001 3.613,94 €, im August 2001 3.625,21 €, im September 2001 3.636,38 €, im Oktober 2001 3.306,75 €, im November 2001 3.306,75 €, im Dezember 2001 3.306,75 €, im Januar 2002 3.065,35 €, im Februar 2002 2.966,67 €, im März 2002 2.966,67 €, im April 2002 2.966,67 €, im Mai 2002 2.966,67 € und im Juni 2002 2.966,67 €, insgesamt 38.694,48 €.
Das Beschäftigungsverhältnis wurde von der Firma S B GmbH am 26. März 2002 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. Juni 2002 gekündigt. Am 23. Mai 2002 meldete sich der Kläger bei dem Arbeitsamt E zum 1. Juli 2002 arbeitslos und beantragte Alg. Zu diesem Zeitpunkt war in der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse 3 und 1,0 Kinderfreibetrag eingetragen. Der Kläger wies in seinem Antrag darauf hin, noch Ansprüche gegen seine Arbeitgeberin für die Zeit nach seinem Ausscheiden zu erheben und eine Kündigungsschutzklage gegen seine Arbeitgeberin eingereicht zu haben.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2002 teilte die Beklagte dem Kläger im Hinblick auf die geltend gemachten Arbeitsentgeltansprüche mit, dass bei Zuerkennung solcher Ansprüche der Alg-Anspruch in entsprechender Höhe ruhen könne, sie aber gleichwohl leiste und die Arbeitsentgeltansprüche bis zur Höhe der gewährten Leistungen auf sie übergingen.
Ausgehend von dem in der Arbeitsbescheinigung vom 29. Mai 2002 ausgewiesenen Bruttoarbeitsentgelt bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juli 2002 dem Kläger Alg ab dem 1. Juli 2002 für 360 Kalendertage in Höhe von 380,46 € wöchentlich (Bemessungsentgelt 745 €/Leistungsgruppe C/Leistungssatz 67 v. H./SGB III-Leistungsentgelt - VO 2002).
Auf die vom Kläger wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhobenen Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht E mit Urteil vom 12. September 2002 (Az.: ) fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. Juni 2002 beendet worden war.
Ebenfalls mit Urteil vom 12. September 2002 (Az.: ) verurteilte das Arbeitsgericht E die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers zur Zahlung von insgesamt 10.250,03 € wegen rückständiger Lohnzahlungen. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es, der Kläger habe für die Monate Oktober 2001 bis August 2002 Anspruch auf eine monatliche Bruttovergütung einschließlich einer vereinbarten Zulage in Höhe von insgesamt 3.394,98 €. Deshalb sei die ehemalige Arbeitgeberin zur Nachzahlung der in diesem Zeitraum unberechtigt einbehaltenen Differenzbeträge verpflichtet, mit Ausnahme des Differenzbetrages für den Monat Februar 2002, weil in diesem Monat zu Recht Kurzarbeit angeordnet worden sei. Beide arbeitsgerichtlichen Entscheidungen sind rechtskräftig. Wegen seit Juli 2002 ausstehender Lohnzahlung kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos zum 30. September 2002. Für die Monate Juli, August und September 2002 erhielt er Insolvenzgeld.
Am 16. Oktober 2002 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und reichte die beiden Urteile des Arbeitsgerichts E vom 12. September 2002 sowie eine Arbeitsbescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin (ohne Datum) zu den Akten, worin diese nunmehr für den Zeitraum von Oktober 2001 bis Septe...