Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Begrenzung des Streitgegenstandes. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für erwerbsfähigen Gehbehinderten gem § 21 Abs 4 SGB 2. Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme. psychotherapeutische Behandlung. Bewilligung von Leistungen nach § 33 SGB 9 bzw sonstige Hilfen nach § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 SGB 12 durch Verwaltungsakt. allgemeine Beratung und Unterstützung
Orientierungssatz
1. Eine Begrenzung des Streitgegenstandes allein auf die Gewährung eines Mehrbedarfs gem § 21 Abs 4 SGB 2 ist nicht zulässig. Dies ist nur dann zulässig, wenn ein Bescheid im Einzelfall mehrere abtrennbare Verfügungssätze enthält. Letzteres hat das BSG für Verfügungen betreffend die Regelleistung einerseits und Unterkunfts- sowie Heizkosten andererseits angenommen (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R = BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1). Die dortigen Überlegungen sind nicht auf den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 SGB 2 übertragbar.
2. Die Anwendung des § 21 Abs 4 SGB 2 setzt voraus, dass die in dieser Vorschrift bezeichneten Leistungen zur Teilhabe bzw sonstigen Hilfen "erbracht werden". Für die Bejahung eines Mehrbedarfs gem § 21 Abs 4 SGB 2 genügt nicht, dass möglicherweise ein Anspruch auf eine Teilhabeleistung oder eine Leistung der Eingliederungshilfe abstrakt-generell in Betracht kommt (vgl BSG vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R = BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Die Voraussetzungen sind erst erfüllt, wenn der Berechtigte an einer Maßnahme des § 33 SGB 9 tatsächlich teilnimmt (vgl BSG vom 25.6.2008 aaO, LSG Essen vom 16.7.2009 - L 7 AS 65/08 und LSG Berlin-Potsdam vom 24.11.2008 - L 29 B 414/08 AS NZB). Die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 SGB 2 setzt die Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme voraus, die grundsätzlich geeignet ist, einen Mehrbedarf beim Betroffenen auszulösen (vgl BSG vom 25.6.2008 aaO).
3. Eine psychotherapeutische Behandlung ist keine Teilnahme an einer besonderen regelförmigen Maßnahme. Zur Ab- und Begrenzung des weit gefassten § 33 Abs 1 S 1 SGB 9 ("die erforderlichen Leistungen") ist zur Überzeugung des Senats zusätzliche Voraussetzung für einen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 SGB 2, dass die Leistungen nach § 33 SGB 9 bzw sonstige Hilfen nach § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 SGB 12 durch Verwaltungsakt bewilligt sind.
4. Die allgemeine Beratung und Unterstützung durch den Grundsicherungsträger stellt keine Teilnahme an einer besonders regelförmigen Maßnahme iS des § 21 Abs 4 SGB 2 dar.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1971 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger und bezog bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe. Das Versorgungsamt hat ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 bzw. 70 ab 30. November 2006 zuerkannt. Der Kläger ist u.a. an HIV erkrankt und bezieht seit 1. Januar 2005 bis laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (seit 1. März 2005 vom Beklagten). Darüber hinaus gewährt ihm der Beklagte seit 1. März 2005 Leistungen wegen Mehrbedarfs aufgrund kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2005 beantragte der Kläger am 27. Dezember 2005 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 8. November 2005 sowie aller vorangehenden Bescheide für das Jahr 2005, weil ihm außer Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung auch Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige nach § 21 Abs. 4 SGB II seit 1. Januar 2005 zustehe.
Mit Bescheid vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2006 lehnte der Beklagte “den Antrag auf Mehrbedarf für erwerbsfähige, behinderte Hilfebedürftige„ ab. Voraussetzung sei das Vorliegen einer Behinderung, einer daraus folgenden Beeinträchtigung des Hilfesuchenden bei der Teilhabe am Arbeitsleben und die Erbringung von Hilfen zum Ausgleich dieser Beeinträchtigungen. Ein Schwerbehindertenausweis allein berechtige nicht zur Inanspruchnahme eines Mehrbedarfs. Es müssten auch tatsächlich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden. Die Voraussetzungen für den Mehrbedarf seien nicht erfüllt, wenn sich die Leistungen lediglich auf Beratung und Vermittlung iS des § 33 Abs. 3 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) beschränkten.
Hiergegen hat der Kläger am 24. April 2006 bei dem Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben mit der Begründung, dass er unstreitig schwerbehindert sei. Wenn auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht ersichtlich...