Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Einpersonenhaushalt in Berlin. Angemessenheitsprüfung. Vergleich mit der Miethöhe im sozialen Wohnungsbau. Sozialrechtsoptimierungsgebot. Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit sind wegen dessen normativer Vorprägung die gesetzgeberischen Entscheidungen zur Sicherung angemessenen Wohnraums für Hilfebedürftige zu beachten, um sicherzustellen, dass der Vergleich mit der Referenzgruppe gelingt. Dazu gehört in angespannten Wohnungsmärkten der Vergleich mit den Mieten im sozialen Wohnungsbau.
2. Auch wenn sich das Gericht nicht in der Lage sieht, eine Angemessenheitsgrenze zu bestimmen, ist bei einem Vergleich mit Sozialmieten die Feststellung zulässig, dass die konkrete Bruttokaltmiete im Einzelfall angemessen war.
3. Das Sozialrechtsoptimierungsgebot des § 2 Abs 2 SGB I schließt in seiner verfahrensrechtlichen Wirkung bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit die Verortung der Darlegungs- und Beweislast auf Seiten des Leistungsberechtigten aus.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2014 werden geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Anrechnung der bereits bewilligten Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung weitere Leistungen nach dem SGB II einschließlich zur Erzeugung von Warmwasser unter Zugrundelegung von angemessenen Kosten dafür in Höhe von 530,70 Euro monatlich zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu 85 Prozent zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) und die Warmwasseraufwendungen für den Zeitraum von Juni 2014 bis November 2014.
Der 1950 geborene Kläger bezog seit 1. Juni 2009 Arbeitslosengeld II vom beklagten Jobcenter. Er bewohnt seit Juli 1986 die im Rubrum angegebene Wohnung mit einer Fläche von 60 m² (2 Zimmer, eine Kammer, eine Küche, ein Kellerraum) und mit einer Gasetagenheizung mit Warmwasserversorgung. Die Kochenergie wird ebenfalls mit Gas erzeugt. Bei Antragstellung im Mai 2009 betrugen die KdUH 516,57 Euro (Grundmiete 393,57 Euro + Heizkosten 123,00 Euro). Ab 1. September 2013 war die Miete auf 440,14 Euro erhöht worden. Seit Februar 2014 hatte der Kläger Gasabschläge von 119,00 Euro monatlich zu zahlen. Für seine private Rentenversicherung war eine Verwertung vor Eintritt in den Ruhestand unwiderruflich ausgeschlossen.
Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 22. Juni 2009 im Hinblick auf nach seiner Ansicht überhöhte Unterkunftskosten an. Der Richtwert für angemessene KdUH (Bruttowarmmiete) betrage in seinem Fall 378,00 Euro. Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 bewilligte der Beklagte Leistungen für KdUH nur noch in Höhe von 378,00 Euro und reduzierte auch in den Folgezeiträumen die Leistungen für die KdUH (vgl. Urteil des SG Berlin vom 22.01.2016, S 37 AS 29345/14).
Der Kläger beantragte am 21. Mai 2014 die Weiterbewilligung von Leistungen. Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 23. Mai 2014 für den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November 2014 Grundsicherungsleistungen monatlich für den Regelbedarf i.H.v. 391,00 Euro, für den Warmwasserbedarf einen Mehrbedarf von 8,79 Euro und für Bedarfe für Unterkunft und Heizung von 429,00 Euro, insgesamt 828,79 Euro.
Gegen den Bescheid wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 3. Juni 2014 und begründete dies damit, dass die Leistungen für KdUH erheblich zu niedrig seien. Er müsse monatlich 559,14 Euro dafür aufwenden. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2014 zurück. Die aktuellen Richtwerte einer angemessenen monatlichen Bruttowarmmiete würden sich nach der Bedarfsgemeinschaftsgröße, der Gesamtgebäudefläche, der Heizungsart und der Warmwasserversorgung richten. Die Wohngebäudefläche betrage 1.579,14 m², Energieträger sei Erdgas und die Warmwassererzeugung erfolge dezentral. Auf der Basis dieser Werte seien Bedarfe für Unterkunft und Heizung in monatlicher Höhe von derzeit 411,00 Euro angemessen. Die für die Zeit vom 1. Juni 2014 bis 30. November 2014 in monatlicher Höhe von 429,00 Euro berücksichtigten KdUH seien dementsprechend nicht zu beanstanden.
Am 4. August 2014 erhob der Kläger Klage, denn der Ansatz des Beklagten sei verfehlt. Er halte das Anmieten einer Wohnung zu den vom Beklagten eingesetzten Konditionen angesichts der derzeitigen Wohnungsmarktsituation in Berlin für gänzlich unrealistisch. Er habe im Juni 2006 einen Zusammenbruch gehabt und daraufhin unter einer schweren Depression gelitten, die zumindest bis 2009 gedauert habe. Danach sei allmählich eine Besserung eingetreten. Die Nachwirkungen seiner Depression spüre er bis heute. Insbeso...