Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Einzelbewertung der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen nach der VersMedV

 

Orientierungssatz

Es entspricht nicht den Vorgaben der VersMedV, zur Beurteilung der Höhe des GdB für die Funktionsbeeinträchtigung die ermittelten Folgen der Hirnschädigung einzeln zu bewerten.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Juni 2010 geändert.

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2007 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 12. Juli 2010 verpflichtet, bei dem Kläger ab 19. Juni 2007 einen Grad der Behinderung von 100 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Der Kläger, der im April 2007 einen Schlaganfall erlitten hatte, beantragte bei dem Beklagten am 19. Juni 2007 die Feststellung eines GdB. Auf der Grundlage der eingeholten medizinischen Unterlagen erkannte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 17. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2007 für die Funktionsbehinderungen

Durchblutungsstörung des Gehirns, Gesichtsnervlähmung links (Facialisparese), Hirnschädigung mit Teilleistungsstörung, Halbseitenteillähmung, Neglect nach links

einen GdB von 50 zu. Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat der Kläger einen GdB von 100 begehrt. Das Gericht hat durch Einholung fachärztlicher Gutachten Beweis erhoben. Der Augenarzt Dr. V hat in seinem Gutachten vom 29. November 2008 eine

beiderseitige Gesichtsfeldeinengung

diagnostiziert, die er mit einem GdB von 30 bewertet hat. In seinem Gutachten vom 12. Mai 2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 15. Dezember 2009 hat der Nervenarzt Dr. L als Funktionsbeeinträchtigungen auf seinem Fachgebiet

- Hirnschaden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung,

- depressives Syndrom,

- Epilepsie

ermittelt. Unter Berücksichtigung des augenärztlichen Gutachtens hat er den Gesamt-GdB mit 100 eingeschätzt.

Mit Schriftsätzen vom 5. Februar 2009, 18. August 2009 und 12. April 2010 hat der Beklagte bei dem Kläger zunächst einen GdB von 60, dann von 70 und schließlich von 80 ab Antragstellung anerkannt. Diese Teilanerkenntnisse hat der Kläger nicht angenommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Juni 2010 abgewiesen, soweit sie über die Teilanerkenntnisse des Beklagten hinausgeht. Ein höherer GdB als 80 sei nicht zu begründen.

Mit Ausführungsbescheid vom 12. Juli 2010 hat der Beklagte bei dem Kläger ab 10. Juni 2007 einen GdB von 80 festgestellt. Dem legte er folgende (ausweislich der Stellungnahmen der Versorgungsärztin Dr. H vom 17. August 2009 und vom 6. April 2010 mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Gesichtsnervenlähmung rechts (10),

b) Durchblutungsstörung des Gehirns (30),

c) Hirnschädigung mit kognitiven Leistungsstörungen (20),

d) psychische Minderbelastbarkeit (20),

e) Sprachstörung (40),

f) Restlähmung der Gliedmaßen links (30),

g) Anfallsleiden (40),

h) Gesichtsfeldausfälle (30),

i) Krampfaderleiden des rechten Beins (20).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, dass dem Gutachten des Nervenarztes Dr. L zu folgen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2007 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 12. Juli 2010 zu verpflichten, bei ihm ab 19. Juni 2007 einen Grad der Behinderung von 100 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seinen Entscheidungen fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch, dass dieser bei ihm ab 19. Juni 2007 einen GdB von 100 feststellt. Das Sozialgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung die Klage deshalb insoweit zu Unrecht abgewiesen.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 2005 und - zuletzt - 2008. Se...

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