Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des maßgeblichen Insolvenzereignisses bei beantragtem Insolvenzgeld

 

Orientierungssatz

1. Das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB 3 hat als Auffangtatbestand drei Merkmale zur Voraussetzung, die kumulativ vorliegen müssen: die vollständige Betriebsaufgabe im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrags und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so wird damit dokumentiert, dass ein Anschein für Masseunzulänglichkeit objektiv nicht bestanden hat.

2. Masselosigkeit liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Regelmäßig ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Arbeitgeber die Lohnzahlungen unter Hinweis auf seine Zahlungsunfähigkeit einstellt bzw. verweigert, die betriebliche Tätigkeit vollständig beendet ist und ein Insolvenzantrag nicht gestellt worden ist. Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen den Träger der Arbeitslosenversicherung nicht, einen Anspruch auf Insolvenzgeld abzulehnen.

3. Lassen die objektiv erkennbaren Umstände allenfalls Zahlungsschwierigkeiten, aber keine Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erkennen, so ist ein Anschein bestehender Masselosigkeit auch dann zu verneinen, wenn objektiv tatsächlich bereits Masselosigkeit vorgelegen hat. In einem solchen Fall ist allein maßgebliches Insolvenzereignis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 19. Januar 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2008 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Oktober 2006 Insolvenzgeld zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Oktober 2006.

Die 1958 geborene Klägerin war als Bürokauffrau bei dem Abbruchunternehmer W (im Folgenden: W.) versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. Oktober 2006. W. meldete sein Gewerbe zum 30. April 2007 ab. Mit Beschluss vom 13. Oktober 2008 eröffnete das Amtsgericht (AG) Potsdam das Insolvenzverfahren über das Vermögen des W (- -). Auf den Bericht des Insolvenzverwalters vom 9. Oktober 2008 und den Schlussbericht vom Juli 2009 wird Bezug genommen. Um eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Arbeitsentgeltansprüche gegenüber W. bemühte sich die Klägerin nicht.

Mit Schreiben der Bevollmächtigten des W. vom 11. März 2008 wiesen diese darauf hin, dass es W. wegen seiner Gesamtverschuldung nicht mehr möglich sei, seinen Zahlungsverpflichtungen vollumfänglich nachzukommen. Eine außergerichtliche Einigung sei daher beabsichtigt. Die Klägerin möge mitteilen, in welcher Höhe noch offene Entgeltforderungen bestünden. W. sei bemüht, diese zu begleichen.

Den Insg-Antrag der Klägerin vom 24. September 2008, mit dem diese ausgefallenes Arbeitsentgelt für die Monate August, September und Oktober 2006 i.H.v. jeweils 1.042,85 € netto unter Vorlage der entsprechenden Gehaltsabrechnungen geltend machte und angab, die Nichtzahlung des Arbeitsentgelts habe der Arbeitgeber mit Zahlungsunfähigkeit begründet, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2008 ab mit der Begründung, dass die Klägerin die Ausschlussfrist für die Beantragung von Insg versäumt habe und ihr auch eine Nachfrist nicht zu eröffnen sei.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die auf Gewährung von Insg für die Zeit vom 1. August 2006 bis 31. Oktober 2006 gerichtete Klage mit Urteil vom 19. Januar 2011 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Maßgebendes Insolvenzereignis sei hier die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit des W. zum 1. Mai 2007. Zu diesem Zeitpunkt habe entgegen der nachträglichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das AG Potsdam auch eine offensichtliche Masselosigkeit vorgelegen, was dem Gutachten des Insolvenzverwalters zu entnehmen sei. Die nachträgliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei daher nicht als maßgebliches Insolvenzereignis anzusehen. Die Klägerin habe somit die Insg-Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) von zwei Monaten versäumt. Eine Nachfrist sei ihr nicht zu eröffnen, da sie sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Entgeltansprüche gegenüber W. bemüht habe. Ein bloßes regelmäßiges Nachfragen bei W. habe insoweit nicht ausgereicht.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Eine offensichtliche Masselosigkeit bereits am 1. Mai 2007 sei nicht feststellbar. Diese könne auch nicht aus dem Schreiben der Bevollmächtigten des W. ...

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