Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Höherbewertung des Grades der Schädigungsfolgen wegen besonderer beruflicher Betroffenheit. Umschulung
Orientierungssatz
1. Die Tatbestände des § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG, sind nur beispielhaft aufgeführt und stellen Erläuterungen für den in § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG allgemein zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers dar, eine Höherbewertung des GdS vorzunehmen, wenn der Beschädigte in seinem Beruf besonders betroffen ist.
2. § 30 Abs. 2 Satz 1 sieht nicht vor, dass der Anspruch auf Höherbewertung des GdS ausgeschlossen ist, wenn der Betroffene in jedem Beruf gleichermaßen betroffen ist, sondern bezieht sich vielmehr auf das Ausmaß der individuellen Auswirkungen bei dem Geschädigten in seinem Berufsleben. So ist auch derjenige, der seinen Beruf nach der Schädigung weiter ausübt, dann besonders betroffen, wenn er eine außergewöhnliche Tatkraft aufwenden und außergewöhnliche Anstrengungen machen muss, um einen wirtschaftlichen Schaden und ein Abgleiten in seinem Beruf zu verhindern.
3. Der GdS hängt nicht von der konkreten Beeinträchtigung in einem vom Geschädigten ausgeübten oder angestrebten Beruf ab.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 Sätze 2, 1, Abs. 3; StrRehaG § 21 Abs. 1 S. 1; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2010 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides des Versorgungsamtes Berlin vom 12. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2008 verpflichtet, den Bescheid des Versorgungsamtes Berlin vom 6. Juni 2002 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 1. Januar 1999 eine Versorgungsrente nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsantrags über die Höherbewertung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS - der bis 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] bezeichnet wurde) wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1950 geborene Kläger begann 1965 eine Schlosserlehre. Vom 12. Oktober 1966 bis zum 11. November 1967 befand er sich in Haft. Nach der Entlassung schloss er die Lehre 1968 ab und war zunächst in diesem Beruf, nach seiner Umschulung ab 1970 als SM-Mechaniker bei dem VEB Kombinat Robotron beschäftigt. Vom 15. Mai 1971 bis zum 11. Dezember 1972 war er erneut inhaftiert. Anschließend war er in einem Betrieb für Schweißtechnik, von 1974 bis 1984 wieder als Schlosser beschäftigt. 1977 erlangte er die Qualifikation als Meister des Schlosser- und Schmiedehandwerks. 1980 nahm er ein Studium an der Ingenieurschule für Maschinenbau in Leipzig auf. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik 1984 arbeitete er als Mechaniker und Schlosser. Seit 1995 ist er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, in seinem erlernten Beruf tätig zu sein. Von 1996 bis 1999 nahm er an einer Umschulung zum Elektrogerätemechaniker teil. Es folgten nur kurzfristig unterbrochene Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit September 2010 erhält der Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
In zwei Rehabilitierungsverfahren haben die Bezirksgerichte Cottbus und Dresden 1992 die Strafurteile gegen den Kläger aufgehoben und ihn rehabilitiert.
Am 14. März 1995 stellte der Kläger bei dem Versorgungsamt Berlin einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem StrRehaG. Auf der Grundlage der beigezogenen ärztlichen Unterlagen und der Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. B vom 11. Februar 1997 und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 1. August 1997 erkannte das Versorgungsamt Berlin mit Bescheid vom 10. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 1997 bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung mit Ängsten, Schlafstörungen und Wiedererinnerungen als Folge einer Schädigung im Sinne des § 21 StrRehaG an, die es mit einer MdE von weniger als 25 v.H. bewertete. In einem anschließenden Klageverfahren änderte das Versorgungsamt Berlin diese Entscheidung mit Bescheid vom 15. Juni 2000. Es erkannte mit Wirkung ab 1. März 1995 als Schädigungsfolgen
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posttraumatische Belastungsstörung mit Ängsten, Schlafstörungen und Wiedererinnerungen und |
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Verschlimmerung einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung, |
und zwar zu 1) hervorgerufen und zu 2) verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG, an. Die MdE setzte das Versorgungsamt Berlin für den Zeitraum vom 1. März 1995 bis z...