Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Ermittlung des Pflegebedarfs. Nichtberücksichtigung pädagogischer Hilfestellungen für ein Kind. ADHS. Begutachtungs-Richtlinien (BRi). Abzugswerte

 

Orientierungssatz

1. Liegt der Schwerpunkt der erforderlichen Hilfe bei einem Kind in der Notwendigkeit der Strukturierung und pädagogischen Führung, so sind solche pädagogischen Hilfestellungen im Rahmen des Pflegebedarfs nach §§ 14, 15 SGB 11 nicht zu berücksichtigen.

2. Die der täglichen Praxis der Kindererziehung und Kinderpflege entnommenen nach den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB 11 (Begutachtungs-Richtlinien - BRi) zu berücksichtigenden Abzugswerte sind empirisch gesichert und realistisch (vgl BSG vom 15.3.2012 - B 3 P 1/11 R = BSGE 110, 214 = SozR 4-3300 § 15 Nr 5). Eine Bildung von Zwischenwerten nach Maßgabe des Lebensalters des Kindes im Zeitpunkt der Begutachtung (Interpolation) findet nicht statt (vgl BSG vom 15.3.2012 - B 3 P 1/11 R aaO).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung.

Die 2002 geborene und bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin leidet an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und einer sozialen Anpassungsstörung. Mit Bescheid vom 2. September 2008 stellte das Landesamt für Gesundheit und Versorgung einen Grad der Behinderung von 50 fest.

Am 8. Juni 2009 beantragte die Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung bei der Beklagten. Im Zeitraum vom 29. Juni 2009 bis zum 11. September 2009 wurde sie stationär in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychosomatik des Klinikums B-H behandelt. Die Beklagte veranlasste danach eine Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Die Pflegefachkraft D verneinte nach Begutachtung am 21. September 2009 in ihrem Gutachten vom 22. September 2009 das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit. Der tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege umfasse 13 Minuten; ein Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe nicht. Dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege legte die Sachverständige dabei folgende Werte zugrunde: Körperpflege - 3 Minuten täglich für die Teilübernahme der Zahnpflege und Mobilität - 10 Minuten täglich für die Anleitung beim An- und Entkleiden und Gehen. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen anamnestisch angegebenem und tatsächlichem Hilfebedarf. Die Mutter beziehe in ihre Angaben eine allgemeine Betreuung und Beaufsichtigung ein.

Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 lehnte die Beklagte, gestützt auf die Feststellungen des MDK, den Antrag auf Gewährung von Pflegegeld ab. Hiergegen legte die Mutter der Klägerin am 6. November 2009 Widerspruch ein. Sie müsse die Klägerin bei allen Verrichtungen beaufsichtigen. Sie reichte ein Pflegetagebuch ein, aus dem sich ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von ca. 3 Stunden täglich ergibt. Nach Einholung einer Stellungnahme beim MDK wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2010 zurück.

Mit der am 26. Februar 2010 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie leide an einer seelischen Krankheit, aufgrund derer sie teilweise auf die vollständige Übernahme der Grundpflege durch die Mutter teilweise auf langwierige Zusprache angewiesen sei. Sie könne nicht ausreichend für ihre Sicherheit sorgen. Es mangele an der Fähigkeit, sich täglich zu kleiden und die Körperpflege durchzuführen. Die Nahrung müsse mundgerecht zubereitet werden. Ihr sei nunmehr ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. K und der Fachärztin für Kinder- und Jugendspsychiatrie und -psychotherapie Dr. T eingeholt. Sodann hat das Gericht den Sachverständigen Prof. Dr. Z mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige kam in seinem am 8. März 2011 nach Begutachtung am 4. März 2011 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Im Bereich der Grundpflege setzte er einen täglichen Hilfebedarf von 23 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen Hilfebedarf von täglich 20 Minuten an. Dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege legte der Sachverständige Prof. Dr. Z dabei folgende Werte zugrunde: Körperpflege 13 Minuten täglich (für Anleitung beim Waschen, beim Duschen/Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen und bei der Darmentleerung), Ernährung 7 Minuten täglich (für Anleitung für die mundgerechte Zubereitung der Hauptmahlzeiten und der Zwischenmahlzeiten und für die Nahrungsaufnahme) und Mobilität 13 Minuten täglich (für Anleitung beim Aufstehen/Zubettgehen, Ankleiden, Auskleiden, Gehen). Hiervon...

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