Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisanforderungen für die Opferentschädigung wegen sexuellen Missbrauchs im Kindesalter

 

Orientierungssatz

1. Für einen Anspruch auf Versorgungsleistungen wegen sexuellen Missbrauchs nach dem Opferentschädigungsgesetz muss der Vollbeweis für den vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff nach § 1 Abs. 1 OEG geführt werden. Nach dem gemäß § 6 Abs. 3 OEG entsprechend anwendbaren § 15 Abs. 1 KOVVfG reicht zwar die Glaubhaftmachung auf Grund der Angaben des Antragstellers bei dem Fehlen anderer Unterlagen aus. Dazu ist aber erforderlich, dass das Opfer Angaben zu dem behaupteten Missbrauch aus eigener Erinnerung machen kann.

2. Hat die Klägerin, die geltend macht, Opfer des sexuellen Missbrauchs durch den eigenen Vater vom 6. Lebensmonat bis zum 6. Lebensjahr zu sein, daran keine eigene Erinnerung gehabt, bevor sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben hat, so kommt in Betracht, dass es sich nur um eine Scheinerinnerung handelt. Zur Sachaufklärung kommt ein Glaubhaftigkeitsgutachten in Betracht. (Ein solches Gutachten ergab im vorliegenden Fall, dass eine Scheinerinnerung durch die potentiell suggestive Wirkung der psychotherapiegestützten Bearbeitung tatsächlich bestehender psychischer Probleme wahrscheinlich war).

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1960 geborene Klägerin ist von Beruf Bauzeichnerin, arbeitete zuletzt als Grafikerin bis zur Geburt ihres Sohnes im Jahre 1988 und war danach im Wesentlichen ohne Beschäftigung. Seit März 1998 bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Einen ersten Antrag nach dem OEG stellte die Klägerin am 03./12. Februar 1999. Sie gab an, im Kindesalter von ihrem Vater vergewaltigt und missbraucht worden zu sein. Der Beklagte zog ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Frau Dr. A, gefertigt für den Rentenversicherungsträger, bei, aus dem sich als Diagnosen eine schwere psychische Fehlentwicklung bei Verdacht auf frühe Störung und vasomotorische Cephalgien ergaben. Die Klägerin habe berichtet, sie sei vom sechsten Lebensmonat bis zum sechsten Lebensjahr von ihrem Vater missbraucht worden. Dies rekapituliere sie aus ihrem Lebensmuster, Belege von außen fänden sich für diese Behauptung nicht.

Der Beklagte holte weiter einen Befundbericht der Dipl.-Psych. O, eingegangen am 09. Juni 1999, ein, in dem diese ausführte, der Vater der Klägerin habe diese regelmäßig mit zu sich nach Hause genommen. Dort müsse es zum sexuellen Missbrauch gekommen sein. Das von ihr geschilderte psychische, körperliche und soziale Erleben sei auf eine ganz frühe, bereits in der Schwangerschaft begonnene, Persönlichkeitsstörung zurückzuführen. Diese sei noch zusätzlich durch den sexuellen Missbrauch verstärkt worden. Sie habe mit der Klägerin schrittweise die Psychogenese erarbeitet, schließlich seien die Erinnerungsbilder vom sexuellen Missbrauch gekommen. Eine reale Erinnerung liege jedoch nicht vor, der Vater lebe nicht mehr, so dass eine Verifizierung nicht möglich sei.

Mit Bescheid vom 11. August 1999 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, der Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs sei nicht erbracht. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 30. September 2003 stellte sie einen erneuten Antrag, in dem sie einen 1985 aufgetretenen Gebärmutterhalskrebs als Folge der Gewalttat bezeichnete. Neue Beweise für den sexuellen Missbrauch im Kindesalter lägen ihr nicht vor. Dem Antrag blieb mit ablehnendem Bescheid vom 29. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2003 der Erfolg versagt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, eine Rücknahme des Bescheides vom 11. August 1999 komme nicht in Betracht, da dieser rechtmäßig sei.

Unter dem 20./29. März 2005 stellte die Klägerin erneut einen Überprüfungsantrag. Beigefügt war ein an den Weißen Kreis gerichteter Antrag auf Kostenübernahme für eine Psychotherapie der Psychologischen Psychotherapeutin W vom 08. Mai 2004. Die Klägerin habe bereits über mehrere Jahre psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen, wovon sie profitiert habe, da sie dadurch überhaupt erst erinnert habe, dass sie in der Kindheit gequält worden sei. Sie habe die damit aufkommenden Gefühle aber nicht verarbeiten können. Sie sei über Jahre hinweg sexuell auf sadistische Weise von ihrem Vater gequält worden. Dies habe vermutlich bereits im Säuglingsalter begonnen. Weiter war dem Antrag ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung durch Dr. J und Frau Dr. W vom 17. Januar 2005 beigefügt. Dort ist ausgeführt, die Klägerin habe in der Anamneseerhebung von ihrer freudlosen Kindheit, dem gewalttätigen Vater, der lieblosen Mutter und dem sexuellen Missbrauch berichtet.

Mit Bescheid vom 13. April 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Jun...

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