Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auskunftsverlangen. Tod des Leistungsberechtigten. Erlöschen der Auskunftspflicht des Partners. Berufungsverfahren. Klageänderung. Feststellungsklage. Verfolgung von Schadensersatzansprüchen. Stufenklage
Leitsatz (amtlich)
Ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB II erledigt sich mit dem Ende des Leistungsverhältnisses zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigtem.
Orientierungssatz
1. Zur Zulässigkeit der Änderung der Klage im Berufungsverfahren von der ursprünglichen Anfechtungsklage gegen das Auskunftsersuchen in eine Feststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung, dass eine Auskunftspflicht nicht mehr besteht.
2. Im Hinblick auf einen möglichen Schadensersatzanspruch gemäß § 62 Nr 2 SGB 2 kann der Grundsicherungsträger die Auskunft des Partners über Einkommen und Vermögen im Rahmen der ersten Stufe der Stufenklage, die im Zivilprozessrecht wie in der Sozialgerichtsbarkeit möglich ist (§ 202 S 1 SGG iVm § 254 ZPO), erstreiten.
Tenor
Es wird festgestellt, dass eine Auskunftspflicht der Klägerin gemäß dem Bescheid vom 3. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2016 nicht mehr besteht.
Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Verfahrens ist ein Auskunftsersuchen des Beklagten zur Feststellung von Einkommen und Vermögen der vermeintlichen Partnerin eines Beziehers von Arbeitslosengeld II in einer vom Beklagten angenommenen Bedarfsgemeinschaft.
Die am 27. Mai 1957 geborene Klägerin und der am 12. August 1957 geborene - inzwischen am 27. Dezember 2021 verstorbene - C G (im Folgenden: G) bewohnten seit Oktober 2002 gemeinsam eine Wohnung unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift. Sodann bezogen sie im Jahr 2006 im selben Haus gemeinsam die aktuell noch von der Klägerin bewohnte Wohnung, die durch beide angemietet wurde und über eine Wohnfläche von 56 m² sowie zwei Zimmer verfügt.
G, der sich als alleinstehend bezeichnete, stand seit dem Jahr 2005 im laufenden Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Beklagte ging zunächst nicht vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit der Klägerin aus. Am 15. April 2009 und 11. August 2015 fanden auf Veranlassung des Beklagten Hausbesuche zur Prüfung des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft statt. Wegen der Prüfberichte wird auf Bl. 246 und 532 f. der Leistungsakten (LA) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 3. Mai 2016 erließ der Beklagte das streitgegenständliche Auskunftsersuchen gegenüber der Klägerin. Darin hieß es:
„Sehr geehrte Frau L,
ich bitte Sie mir bis zum 16.05.2016 Auskunft zu geben über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
Ich benötige Angaben für die Zeit ab 01.01.2015.
Bitte übersenden Sie mir hierfür die in der Anlage aufgeführten Unterlagen mit den entsprechenden Nachweisen.
Begründung:
Herr Claus G… bezieht derzeit bei mir Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie sind dessen Partnerin. Sie bewohnen die jetzige Wohnung seit dem 01.03.2006 gemeinsam mit Herrn G… (gemeinsamer Mietvertrag). Aufgrund der hier vorliegenden Erklärung bezüglich der Prüfung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft von Herrn G… ist von einer räumlichen Trennung nicht auszugehen. Für die Berechnung, ob und in welcher Höhe ein Leistungsanspruch gegeben ist, ist daher auch Ihr Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen. Ein Auskunftsersuchen unmittelbar bei dem Betroffenen blieb erfolglos. Um über den tatsächlichen Leistungsanspruch von Herrn G… entscheiden zu können, benötige ich daher die genannten Informationen von Ihnen. Ich bitte Sie daher, mir diese bis zum 16.05.2016 zukommen zu lassen. Ihre Auskunftspflicht ergibt sich aus § 60 SGB II.
Rechtsbehelfsbelehrung…“
Beigefügt waren ein Vordruck über eine vom Arbeitgeber auszufüllende Einkommensbescheinigung, das Formular „EK“ zur Feststellung der Einkommensverhältnisse jeder in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person sowie das Formular „VM“ zur Feststellung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen.
Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, sie sei nicht die Partnerin von G. Es liege nur eine Haushaltsgemeinschaft vor. G sei ihr Untermieter. Ein gemeinsames Konto oder gemeinsame Verträge bestünden nicht. Anhaltspunkte dafür, dass ein gemeinsamer Haushalt in der Weise geführt werde, dass G und sie aus einem Topf wirtschafteten, gebe es nicht. Es greife auch nicht die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II. Zwar lebten sie zusammen mehr als ein Jahr „unter einem Dach“. Es löse aber nicht jede Form des Zusammenlebens, sondern nur eines im Sinne auch einer Wirtschaftsgemeinschaft die Vermutung aus. Eine Wirtschaftsgemeinschaft bestehe hier indes nicht.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 lehnte der Beklagte den Antrag des G auf weitere Leistungsgewährung mangels nachgewiesener Hilfebedürft...