Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. Alleinerziehende. Pflege. Erziehung. Bedarf. Verfassungskonforme Auslegung. Wortlaut des § 21 Abs 3 SGB 2. Mehrbedarf für Alleinerziehende. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, ob bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II ein Mehrbedarf für Alleinerziehende zu berücksichtigen ist, kommt es dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 SGB II entsprechend darauf an, ob der getrennt lebende Elternteil allein für Pflege und Erziehung des oder der Kinder sorgt. Die Vorschrift ermöglicht es nicht, einer alleinerziehenden Person den Mehrbedarf unter Berufung auf dessen Sinn und Zweck mit der Begründung zu versagen, sie lebe mit weiteren Familienangehörigen (Eltern, Schwester) unter einem Dach.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.08.2012; Aktenzeichen B 4 AS 167/11 R)

 

Tenor

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Entscheidungssatz des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Juni 2010 wie folgt geändert wird: Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 25. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2007 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01. Mai 2007 bis zum 31. März 2008 höhere in die Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit fallende Grundsicherungsleistungen zu gewähren, nämlich unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II.

Der Beklagte hat außergerichtliche Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1971 geborene Klägerin (K) begehrt für die Zeit von Mai 2007 bis März 2008 höhere gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gemeinhin in die Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit fallende Grundsicherungsleistungen, nämlich unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II aF (so genannter Mehrbedarf für Alleinerziehende, im Folgenden auch so bezeichnet).

Sie ist erwerbsfähig, ledig und hat zwei Kinder, die 1991 geborene Tochter J (J) und den 2003 geborenen Sohn F (F). Deren Väter waren und sind an Pflege und Erziehung der Kinder jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang beteiligt. K bewohnte im streitigen Zeitraum mit ihren Eltern, ihrer 1947 geborenen Mutter und ihrem 1943 geborenen Vater, die seit Oktober bzw November 2007 Rentner sind, sowie ihrer 1969 geborenen Schwester S, die seinerzeit ebenfalls Arbeitslosengeld II bezog, und den beiden Kindern in einem in ihrem (K___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs) Eigentum stehenden Einfamilienhaus. Das Haus steht auf einem 603 m² großen, nicht teilbaren Grundstück. Es hat eine Gesamtwohnfläche von 97 m² und sieben Wohnräume. Im Erdgeschoss liegen drei von K___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs Eltern genutzte Räume (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer) sowie die von allen Bewohnern genutzte Küche. Im Obergeschoss bewohnten seinerzeit K, die beiden Kinder und K___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs Schwester jeweils einen Wohnraum; außerdem gibt es dort ein gemeinschaftlich genutztes weiteres Bad. Ein “Wirtschaften aus einem Topf„ fand lediglich zum einen zwischen K und ihren Kindern und zum anderen zwischen ihren Eltern statt.

K und ihre Kinder bezogen bis Dezember 2004 Sozialhilfe, bei deren Berechnung gemäß § 23 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung berücksichtigt wurde. Ab Januar 2005 bezogen K, ihre Eltern sowie ihre Schwester Arbeitslosengeld II, wobei weder eine Bedarfs- noch ein Haushaltsgemeinschaft angenommen und zunächst wiederum zu Gunsten von K ein Mehrbedarf für Alleinerziehende berücksichtigt wurde, nunmehr gestützt auf § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II aF.

Mit Bescheid vom 20. April 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 25. September 2007 bewilligte der Beklagte K für den hier streitigen Zeitraum 01. Mai 2007 bis 31. März 2008 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 353,61 € (Regelleistung iHv 318,23 €; Leistungen für Unterkunft und Heizung iHv 35,38 €). Zugleich lehnte er die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für J bzw von Sozialgeld für F (wie schon in den Vorzeiträumen) sinngemäß ab, weil es deren jeweiligen Bedarf durch Einkommen (Kindergeld und Unterhalt bei J bzw Kindergeld und Unterhaltsvorschuss bei F) als gedeckt ansah. Bei der Berechnung der K zustehenden Leistungen war auf der Bedarfsseite der Mehrbedarf für Alleinerziehende erstmals nicht berücksichtigt worden; zur Begründung wurde im Bescheid darauf verwiesen, dass K in einem Haushalt mit ihren Eltern und ihrer Schwester lebe. Auf der Einkommensseite war K das nach der Berechnung des Beklagten den Bedarf von J und F übersteigende Kindergeld unter (einmaligem) Abzug der Versicherungspauschale von 30,- € angerechnet worden. Weiteres Einkommen hatte K im Bewilligungszeitraum nicht; auch nennenswertes (iSv § 12 SGB II zu berücksichtigendes) Vermögen war neben dem selbstgenutzten Eigenheim nicht vorhanden.

Mit ihrem Widerspruch machte K mit Blick auf die mangelnde Berücksichtigung des Mehrbedarfs für Alleine...

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