Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Systemversagen. podologische Nagelspangenbehandlung. nichtärztlicher Leistungserbringer. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 1 KR 34/17 R
Orientierungssatz
Zur Überwindung eines Systemmangels kommt ausnahmsweise auch die Inanspruchnahme nichtärztlicher Leistungserbringer in Betracht. Dies muss jedenfalls für eine Leistung wie die hier in Frage stehende podologische Nagelspangenbehandlung gelten, die von staatlich geprüften und fachlich qualifizierten Podologen angeboten wird (vgl zur Barthaarepilation LSG Essen vom 8.5.2014 - L 16 KR 453/12 = juris RdNr 49).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 11. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das
Berufungsverfahren zu drei Vierteln zu erstatten.
Im Übrigen sind Kosten für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Erstattung von Kosten in Höhe von 152,-- Euro für durch eine podologische Praxis erbrachte Leistungen in Gestalt der achtmaligen Regulierung einer Nagelkorrekturspange.
Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet im Bereich der linken Großzehe unter einem chronifiziert eingewachsenen Zehnagel (unguis incarnatus ). Spätestens seit dem Jahre 2010 unterzieht sie sich einer podologischen Orthonyxiebehandlung (Orthonyxie = Geraderichten des Nagels) durch Anlegen einer Nagelkorrekturspange; diese ist ein individuell aus Draht oder Kunststoff konstruierter Bügel mit Haken und Ösen, der unter dem freien Nagelrand angebracht wird und in längerer Prozedur den Nagel in seine ursprüngliche Form heben soll. Die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung der linken Großzehe ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Im Wege einer “Einzelfallentscheidung ohne Rechtsanspruch„ übernahm die Beklagte durch Bescheid vom 11. Mai 2010 die Sachkosten für eine Nagelkorrekturspange in Höhe von 99,-- Euro sowie die Kosten für sechs von einer Podologin vorgenommene Regulierungen der Spange in Höhe von jeweils 15,-- Euro. Auch mit Bescheid vom 27. Januar 2012 erklärte die Beklagte, sich an den Kosten für die Nagelkorrekturspange mit 99,-- Euro zu beteiligen sowie die Kosten für sechs Regulierungen der Spange durch eine Podologin in Höhe von jeweils 15,-- Euro zu übernehmen.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. W verordnete der Klägerin am 3. Juni 2013 eine “Nagelspange für Orthonyxiebehandlung „ aufgrund der Diagnose unguis incarnatus links. Mit Schreiben vom 14. Juni 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit der Nagelkorrekturspange, indem sie einen Kostenvoranschlag der “Podologischen Praxis T vom 11. Juni 2013 einreichte; der Kostenvoranschlag bezeichnete für die Orthonyxiespange Kosten in Höhe von 147,-- Euro und für zehn Regulierungen der Spange einen Preis von jeweils 19,-- Euro (zusammen 190,-- Euro), insgesamt 337,-- Euro.
Durch Bescheid vom 25. Juni 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, leider habe der Gesetzgeber keinen Spielraum für eine Einzelfallentscheidung bei der Kostenübernahme für das Aufsetzen, Anpassen und Regulieren einer Nagelkorrekturspange vorgesehen. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung habe aber der Vertragsarzt Anspruch auf die Vergütung für die Nagelspangenbehandlung. Beauftrage dieser die Behandlung durch einen Podologen , unterliege die Vergütung der internen Regelung zwischen dem Arzt und dem Podologen . Eine gesonderte Kostenübernahme für das Anbringen, Aufsetzen und Regulieren der Spange durch den Podologen könne durch die Beklagte nicht erfolgen; sie beteilige sich aber an den Sachkosten in Höhe von 100,-- Euro für die Spange.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, in B gebe es keinen Arzt, der die Versorgung mit einer Nagelspange übernehme. Ihr bleibe nur der direkte Weg zu einem Podologen . Ohne podologische Behandlung drohe ihr der Weg ins Krankenhaus, um den eingewachsenen Nagel operativ richten bzw. korrigieren zu lassen.
Mit Bescheid vom 9. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Übernahme der Kosten für eine Nagelkorrekturbehandlung durch einen Podologen sei rechtlich ausgeschlossen. Die Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses sehe die Möglichkeit der Kostenübernahme für podologische Leistungen nur im Falle eines Diabetischen Fußsyndroms vor. Ein solches sei bei der Klägerin nicht gegeben. Bei ihr gehe es nur darum, den verformten Nagel am linken Großzeh zu behandeln. Die Nagelkorrekturbehandlung mittels einer Orthonyxiespange stelle eine ärztliche Leistung dar. Ein Arzt müsse die Spange medizinisch korrekt anbringen. Je nach Therapiefortschritt müsse die Spange neu justiert werden. Ein Podologe dürfe diese Behandlung nur vornehmen, wenn sie unter Aufsicht...