Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Kostenübernahme der Krankenkasse für eine intravenöse Immunglobulinen-Therapie zur Behandlung der Multiplen Sklerose
Orientierungssatz
1. Der Versicherte hat Anspruch auf Versorgung mit Medikamenten, die zugelassen sind. Dabei ist ein Fertigarzneimittel, welches keine arzneimittelrechtliche Zulassung für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in welchem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht der Krankenversicherung umfasst.
2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht bei einer schwerwiegenden Erkrankung, für die eine andere Therapie nicht verfügbar ist und wenn aufgrund einer spezifischen Datenlage ein begründeter Behandlungserfolg in der Form besteht, dass mit einer künftigen Zulassung gerechnet werden kann.
3. Derzeit liegen die generellen Voraussetzungen an die mutmaßliche Evidenz der Qualität und Wirksamkeit einer Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) nicht vor.
4. Ein Anspruch auf Versorgung mit IVIG in zulassungsüberschreitender Anwendung kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG erst bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung in Betracht, für die eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung steht und für die eine auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, vgl. BSG, Urteil vom 04. April 2006 - B 1 KR 12/04 R.
5. Zur Multiplen Sklerose hat das BSG in seiner Entscheidung vom 17. 3. 2007 für die sekundär-progrediente Verlaufsform selbst in schweren Krankheitsfällen eine Lebensgefahr verneint, vgl. BSG, Urteil vom 09. Juni 1998 - B 1 KR 17/96 R.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht, ob die Beklagte die Klägerin mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) zur Behandlung ihrer Multiplen Sklerose (MS) zu versorgen hat.
Die 1953 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet seit ca. 1994 an einer schubförmig verlaufenden MS. Die Erstdiagnose dieser Erkrankung erfolgte im Mai 2004. Die Klägerin erhielt zunächst bis November 2004 eine Therapie mit dem Arzneimittel Copaxone® (Wirkstoff: Glatirameracitat).
Mit Schreiben vom 27. April 2005 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine IVIG-Therapie mit Octagam®. Beigefügt war eine Bescheinigung des J Krankenhauses B, Prof. Dr. med. H. Danach seien die unter Copaxone® aufgetretenen Nebenwirkungen auch unter einer Interferontherapie zu erwarten, da hier im Zusammenhang mit grippeähnlichen Nebenwirkungen ausgeprägte Tachycardien aufträten. Für die Therapien erster Wahl bestünden somit eine Unverträglichkeit bzw. Gegenanzeigen. Empfohlen werde deshalb entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie als Zweite-Linie-Therapie 10 Gramm IVIG pro Monat. Die Kosten lägen nicht über den Kosten der Erste-Wahl-Therapien.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. R vom 21. Juni 2005 ein und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) mit einer gutachterlichen Stellungnahme, welche unter dem 22. Juni 2005 erging.
Mit Bescheid vom selben Tag lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für das Medikament Octagam® ab. Die Voraussetzungen eines zulassungsüberschreitenden Off-Label-Use lägen nicht vor, da die klinisch relevante Wirksamkeit der Therapie nicht durch Studien der Phase III belegt sei.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie wies unter anderem auf die bei ihr bestehende EBV-Infektion (Eppstein-Bar-Virus; Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers), bei welchem Octagam® weitere Infektionen verhindere. Auch heile Octagam® ihre Candida-Allergie. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer Stellungnahme der Prof. Dr. H und eines neuerlichen MDK-Gutachtens mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2005 bestandskräftig zurück.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 22. November 2005 eine Überprüfung der Ablehnung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Ihrer bereits geschilderten Herzproblematik, aufgrund derer sie Betaferon® nicht vertrüge, sei keine Beachtung geschenkt worden, auch nicht ihren weiteren Erkrankungen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 1. Februar 2006 eine Rücknahme ihres Bescheides vom 22. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2005 ab.
Die Klägerin erhob erneut Widerspruch, in dem sie auf neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. H verwies.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2006 zurück.
Hiergegen hat sich die beim Sozialgericht Berlin (SG) am 13. April 2006 erhobene Klage gerichtet.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe Copaxone® zunächst gut vertr...