Entscheidungsstichwort (Thema)

Rundfunkbeitragsbefreiung bei Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen

 

Orientierungssatz

1. Die Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist.

2. Ein schwerbehinderter Mensch ist von öffentlichen Veranstaltungen auch dann ständig ausgeschlossen, wenn ihm deren Besuch mit Rücksicht auf die Störung anderer Anwesender nicht zugemutet werden kann (BSG, Urteil vom 23. Februar 1987, 9a RVs 72/85). Das ist immer dann der Fall, wenn es den anderen Teilnehmern an öffentlichen Veranstaltungen unzumutbar ist, behinderte Menschen wegen Auswirkungen ihrer Behinderungen zu ertragen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “RF„ - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht bzw. ab dem 1. Januar 2013 Ermäßigung von der Rundfunkbeitragspflicht - durch den Beklagten.

Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 19. April 2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens “RF„ nicht mehr vorlägen. Einen Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Merkzeichens “RF„ vom Juni 2005 lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. März 2006 ab.

Der Kläger beantragte am 7. März 2008 erneut bei dem Beklagten die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “RF„. Der Beklagte zog daraufhin einen Befundbericht der Ärztin K vom 24. März 2008 bei, die einen sozialen Rückzug des Klägers aufgrund von im Wechsel auftretenden Verstopfungen und Durchfällen beschrieb. Anschließend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2008 eine Neufeststellung nach dem Schwerbehindertenrecht mit der Begründung ab, eine Verschlimmerung des bei dem Kläger bestehenden Leidenszustandes habe nicht festgestellt werden können. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “RF„ lägen nicht vor. Seiner Bewertung legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Seelische Störung

(Einzel-GdB 40)

Teilverlust des Dickdarms,

chronische Entzündung des Dünndarms

(Einzel-GdB 30)

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

(Einzel-GdB 30)

Knorpelschäden der Kniegelenke

(Einzel-GdB 30)

Diabetes mellitus

(Einzel-GdB 30)

chronisch venöse Insuffizienz bei Krampfaderleiden

(Einzel-GdB 20)

Bluterkrankung

(Einzel-GdB 10)

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. Juli 2008 Widerspruch ein, mit dem er vortrug, seit zehn Jahren an keiner öffentlichen Veranstaltung mehr teilgenommen zu haben, weil er sich wegen unvermittelt abgehender Stuhlgänge schäme. Der Beklagte ließ den Kläger daraufhin von dem Internisten Dr. S begutachten. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten vom 9. September 2008 aus, dass der Kläger bei der Begutachtungsuntersuchung keine Einlage getragen habe und unangenehme Gerüche nicht wahrnehmbar gewesen seien, so dass das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “RF„ nicht erkennbar sei. Unter Bezugnahme auf dieses Gutachten wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2008 zurück, wobei er als weitere Funktionsbeeinträchtigung eine Herzleistungsminderung bei pulmonaler Hypertonie mit einem Einzel-GdB von 20 ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB feststellte.

Der Kläger hat am 19. Dezember 2008 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “RF„ geltend gemacht und zur Begründung darauf verwiesen hat, dass die Notwendigkeit häufiger Windelwechsel sowie eine auftretende Geruchsbelästigung es ihm unmöglich machten, gesellschaftlichen Zusammenkünften aller Art beizuwohnen. Das Sozialgericht hat zunächst ein im Rahmen eines vom Kläger gegen seine Pflegekasse geführten Gerichtsverfahrens erstelltes Sachverständigengutachten des praktischen Arztes G-B vom 26. Januar 2009 beigezogen, in dem eine Teilinkontinenz für Stuhl beschrieben und dargelegt wurde, dass häufige, zum Teil auch unkontrollierte Darmentleerungen nach Abführmaßnahmen aufträten, die in Form von Schwenkeinläufen zweimal wöchentlich erforderlich seien, um die ausgeprägte Darmträgheit mit erheblicher Verstopfung zu beherrschen. Anschließend hat das Sozialgericht auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben über das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens “RF„ durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Internisten und Gastroenterologen Dr. W. Der...

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