Entscheidungsstichwort (Thema)

unzulässige Klage. fehlende Prozessvoraussetzung. kein Verwaltungsverfahren bzw Widerspruchsverfahren. Klageänderung. Klageerweiterung. Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B

 

Orientierungssatz

1. Für eine Klageänderung gelten die üblichen Prozessvoraussetzungen wie für eine neue Klage (vgl BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R = HVBG-INFO 2006 Nr 5, 657; BSG vom 31.7.2002 - B 4a 113/00 R; BSG vom 31.7.2002 - B 4 RA 3/01 R). Dazu gehört im Falle der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens mit einem abschließenden Bescheid und eines Vorverfahrens mit einem Widerspruchsbescheid (vgl BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R = HVBG-INFO 2006 Nr 5, 657). Liegt - wie hier - kein Verwaltungsakt vor, ist die Klage unzulässig (vgl BSG vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R = HVBG-INFO 2006 Nr 5, 657).

2. Auf das Vorliegen eines Verwaltungsaktes kann auch nicht verzichtet werden. Soweit der 9. Senat des BSG in seinen Urteilen vom 15.8.1996 - 9 RVs 10/94 = Breith 1997, 350 = SozR 3-3870 § 4 Nr 13 und 27.8.1998 - B 9 SB 13/97 R eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, kann der Senat dem nicht folgen.

3. Bei der Beantragung des Merkzeichens "B" im Klageverfahren handelt es sich nicht um eine unschädliche Erweiterung des Klageantrags nach § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, weil der Kläger mit dem Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "B" einen neuen Streitgegenstand eingeführt und nicht lediglich seinen Klageantrag auf einen höheren GdB bzw Zuerkennung anderer Merkzeichen erweitert oder ergänzt hat (vgl BSG vom 12.12.1995 - 9 BVs 28/95 ).

4. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stellt die Feststellung von Merkzeichen einen von der Höhe des GdB unabhängigen Streitgegenstand dar (vgl BSG vom 12.12.1995 - 9 BVs 28/95; BSG vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87).

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Februar 2005 aufgehoben. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens sowie ein Viertel der Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist das Merkzeichen “B„ - Notwendigkeit ständiger Begleitung -.

Der geborene Kläger stellte am 10. April 2000 einen formularmäßigen “Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) zur Durchführung des Feststellungsverfahrens und auf Ausstellung eines SchwbG-Ausweises„. Als Gesundheitsstörung gab er eine Wirbelsäulenerkrankung mit starker Bewegungseinschränkung an. Im Übrigen beantragte er das Merkzeichen “aG„ - außergewöhnliche Gehbehinderung -. Nach Veranlassung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme stellte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Juli 2000 einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen einer Wirbelsäulenfunktionsminderung fest. Weiterhin wurde ausgeführt, zu den beantragten Merkmalen bedürfe es keiner Feststellung, weil der GdB nicht mindestens 50 betrage und dem Kläger ein Ausweis nicht zustehe.

Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte eine ärztliche Auskunft der behandelnden Allgemeinmedizinerin F vom 15. August 2000 ein. Mit Abhilfebescheid vom 27. September 2000 stellte der Beklagte einen GdB von 30 wegen einer Wirbelsäulenfunktionsminderung mit rezidivierenden Nervenreizerscheinungen sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Im Übrigen wurde erneut ausgeführt, zu den beantragten gesundheitlichen Merkmalen bedürfe es keiner Feststellung, weil der GdB nicht mindestens 50 betrage und ein Ausweis nicht zustehe. Durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 2001 wurde der Widerspruch schließlich im Übrigen zurückgewiesen, da nach den vorliegenden Befunden die beim Kläger bestehende Wirbelsäulenfunktionsminderung lediglich einen GdB von 30 bedinge. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “aG„ könne schon deshalb nicht festgestellt werden, weil dieses Nachteilsausgleichsmerkmal nur Schwerbehinderten zustehe.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger zunächst beantragt, einen GdB von wenigstens 70 sowie “die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts„ festzustellen. Die Befunde hätten sich stetig verschlechtert, insbesondere sei eine periphere arterielle Verschlusskrankheit hinzugetreten.

Das Sozialgericht Potsdam hat zunächst Befundberichte der Fachärztin für Anästhesie Dr. B vom 18. Juli 2001 und des Chefarztes der Klinik für Neurologie der Landesklinik B Dr. M vom 13. Juli 2001 eingeholt. Daraufhin hat der Beklagte seine Bereitschaft erklärt, den GdB ab Antragstellung auf 40 festzustellen.

In der Folgezeit hat das Sozialgericht das orthopädische Fachgutachten des Dr. R vom 2. November 2001 aus dem Parallelverfahren S 4 RJ 255/01beigezogen, in welchem unter anderem eine Einschränkung der Wegefähigkeit bei einer schmerzfreien Gehstrecke von 200 bis 500 Metern beschrieben wird. Außerdem ist - nachdem der Kläger sich ei...

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