Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes. Praxisnachfolge. Ärztlicher Psychotherapeut. Längere Erkrankung. Fortführungsfähige Praxis (verneint). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. ärztlicher Psychotherapeut. längere Erkrankung. fortführungsfähige Praxis (verneint). maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Nach mehrjährigem Stillstand einer Vertragsarztpraxis (hier: viereinhalb Jahre) besteht kein Anspruch auf eine Nachbesetzung gemäß § 103 Abs. 4 SGB V.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes.
Der im März 1951 geborenen Kläger ist Facharzt für Innere Medizin. Seit dem 1. November 2004 war er als ärztlicher Psychotherapeut mit Praxisräumen in B vertragsärztlich zugelassen. Seit Beginn seiner Zulassung war der Kläger ausschließlich psychotherapeutisch tätig.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, seit dem 14. Mai 2008 erkrankt zu sein. Weil die weitere Dauer der Erkrankung nicht absehbar sei, bitte er, die Abschlagszahlungen auf sein Honorar vorübergehend einzustellen.
Nachdem er zwischenzeitlich krankheitsbedingt keine Patienten mehr behandelt hatte - er litt unter einer Depression und befand sich zeitweilig stationär im Krankenhaus -, beantragte der Kläger am 27. Juli 2009 bei der Beklagten die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V). Gleichzeitig verzichte er auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zum Ende des Quartals III/09; der Verzicht solle erst wirksam werden, wenn der Praxisnachfolger rechtskräftig zugelassen und die Praxis von ihm übergeben worden sei.
Mit Bescheid vom 29. Juli 2009 lehnte die Beklagte (Arztregister) den Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes ab. Eine Ausschreibung setze voraus, dass die Praxis von einem potentiellen Erwerber am bisherigen Ort fortgeführt werden könne und dass eine Praxis mit Räumen und Einrichtungsgegenständen existiere, in der bislang ein Vertragsarzt in der Behandlung seiner Patienten tätig gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung müsse der ausschreibende Vertragsarzt nachweislich noch in nennenswertem Umfang praktiziert haben. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Eine Überprüfung seiner Abrechnungen habe ergeben, dass er - was unstreitig ist - im Quartal II/08 nur 26 Scheine und vom Quartal III/08 bis I/09 keine Scheine eingereicht habe. Eine vertragsärztliche Tätigkeit in nennenswertem Umfange liege daher nicht mehr vor. Es fehle an einer fortführungsfähigen Praxis.
Mit Bescheid vom 9. März 2010 wies die Beklagte den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers zurück. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei Beantragung der Ausschreibung noch eine fortführungsfähige Praxis bestanden habe. Angesichts des Zeitraumes von über einem Jahr zwischen Beginn der Erkrankung und Stellung des Ausschreibungsantrages müsse davon ausgegangen werden, dass die Patienten des Klägers sich inzwischen von anderen Psychotherapeuten behandeln ließen und daher am Ort der Niederlassung kein Patientenstamm mehr vorhanden sei. Zwar diene § 103 Abs. 4 SGB V dem Eigentumsschutz im Sinne von Art. 14 Grundgesetz. Dieser Schutz des Eigentums sei allerdings nicht mehr erforderlich, wenn die schützenswerten Rechtsgüter nicht mehr vorhanden seien, weil die gesetzlich versicherten Patienten sich andere Behandler gesucht hätten und die Praxis sich im materiellen Wert um den Anteil der öffentlich-rechtlichen Gestattung verringert habe. Weil der Kläger seit dem Quartal III/08 keine Umsätze aus vertragsärztlicher Tätigkeit mehr erzielt habe, liege eine übertragbare Praxis im Sinne von § 103 Abs. 4 SGB V nicht mehr vor.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes zu erreichen. Er habe seine Obliegenheit gegenüber der Beklagten erfüllt, indem er sich frühzeitig, nämlich mit dem Schreiben vom 18. Juni 2008, wegen seiner Arbeitsunfähigkeit an sie gewandt habe. Dass die Dauer seiner Erkrankung zu keinem Zeitpunkt vorsehbar gewesen sei, könne er mit medizinischen Gutachten belegen, die für die Krankentagegeldversicherung erstellt worden seien. Die Haltung der Beklagten werde seinem Recht aus Art. 14 Grundgesetz nicht gerecht. Naturgemäß habe er mit Eintritt seiner Erkrankung als Psychotherapeut sämtliche Patienten verloren, eine Vertretung sei bei genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen einschließlich der probatorischen Sitzungen nämlich grundsätzlich unzulässig. Daher dürfe es ihm nicht zum Nachteil gereichen, in den Quartalen nach der Meldung als arbeitsunfähig keine Scheine mehr abgerechnet zu ...