Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens "aG"
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" hat derjenige Schwerbehinderte, der sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann.
2. Ist der Schwerbehinderte durch starke Lähmungserscheinungen der oberen und unteren Extremitäten sowie durch starke Gesichtsfeldeinschränkungen beeinträchtigt und ist ihm ein rechtzeitiges Erkennen von Bodenunebenheiten und Bordsteinkanten unmöglich, so hat er im Wege der Gleichstellung Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2013 geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 wird aufgehoben, soweit das Merkzeichen aG entzogen worden ist.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren im vollen Umfang zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens aG.
Der im Jahre 1995 geborene Kläger erlitt im Jahre 2003 im Alter von 8 Jahren eine schwere Hirnblutung, als deren Folge unter Anderem Lähmungen der oberen und unteren Extremitäten, eine starke Gesichtsfeldeinschränkung, Beeinträchtigungen des Sprachvermögens und Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit verblieben sind. Mit Bescheid vom 25. Februar 2004 stellte der Beklagte zugunsten des Klägers mit Wirkung vom 17. Juni 2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B, G, aG und H fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
In der Folgezeit führte der Beklagte von Amts wegen eine Überprüfung durch. Als deren Ergebnis erteilte er dem Kläger mit Wirkung vom 29. März 2010 einen Bescheid, in dem der GdB auf den Wert von 70 herabgesetzt und die Merkzeichen B, H und aG entzogen wurden. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2010 mit der Begründung zurück, die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers hätten sich wesentlich verändert, weil eine Besserung eingetreten sei.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin hat aufgrund richterlicher Beweisanordnung der Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. am 26. April 2012 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist er zu der Einschätzung gelangt, gegenüber der Bewilligung aus dem Jahre 2004 sei es zu einer wesentlichen Veränderung in Gestalt einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen. Unter anderem lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht mehr vor.
Aufgrund richterlicher Beweisanordnung auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat am 22. Juni 2013 die Ärztin für Neurologie Dr. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist sie zu der Einschätzung gelangt, dem Kläger sei zwar das Gehen auf einem Krankenhausgang möglich, nicht jedoch in einem normalen Lebensumfeld mit Bordsteinkanten, abfallenden und ansteigenden Wegen, Bodenunebenheiten und der ständigen Möglichkeit, im Gedränge und auch auf Treppen angerempelt zu werden. Es sei keine wesentliche Besserung eingetreten. Die Voraussetzungen des Merkzeichen aG seien weiterhin erfüllt.
Mit Urteil vom 17. Dezember 2013 hat das Sozialgericht Cottbus der Klage hinsichtlich des GdB stattgegeben, die Klage hinsichtlich des Merkzeichens aG jedoch abgewiesen, weil es insoweit der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt ist.
Mit seiner zum Landessozialgericht erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren, bezogen auf das Merkzeichen aG, weiter. Er macht geltend, die Voraussetzungen für das Merkzeichen hätten auch im Entziehungszeitpunkt weiterhin vorgelegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 29. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 insoweit aufzuheben, als darin das Merkzeichen aG entzogen worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 SGG, sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts war zu ändern, die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als darin das Merkzeichen aG entzogen worden war. Denn zum Zeitpunkt der Entziehung lagen die Voraussetzungen nach § 48 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) nicht vor, weil keine hinsichtlich des Merkzeichens aG rechtserhebliche wesentliche Veränderung...