Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelversorgung. Arzneimittel-Richtlinien des GBA. Verordnungsausschluss. Ausnahmen vom Verordnungsausschluss. vertragsärztliche Verordnung. Privatrezept. Krankenversicherung. Abgabe der Begründung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung. Zulässigkeit einer vertragsärztlichen Verordnung auf einem Privatrezept
Leitsatz (amtlich)
1. Die auf § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V gestützte Verordnung von Arzneimitteln setzt voraus, dass die Begründung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben und schriftlich nach außen kundgetan wird, z.B. indem sie auf dem Verordnungsvordruck selbst enthalten ist oder diesem beigefügt oder zeitnah der betroffenen Krankenkasse übermittelt wird.
2. Eine Krankenkasse darf einen Antrag eines Versicherten auf Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel nicht allein deshalb ablehnen, weil die Verordnung des Arzneimittels auf einem Privatrezept vorgenommen wurde.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Oktober 2009 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 66,75 Euro zu zahlen und ihn künftig mit Loperamid-haltigen Arzneimitteln zu versorgen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu 2/3. Im Übrigen trägt der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird zugelassen, soweit die Kostenerstattung für den Zeitraum vom 11. Juli 2009 bis 03. September 2010 abgelehnt wurde.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Versorgung mit bzw. die Kostenerstattung für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Loperamid.
Der 1944 geborene Kläger leidet, bedingt durch belastende Lebenserfahrungen in den Jahren 1968 bis 1972 im Rahmen eines Ausreiseverfahrens aus der damaligen DDR, an einer teilweise zu Stuhlinkontinenz führenden psychogenen, chronischen, schweren Diarrhö. Sie äußert sich in plötzlichem, unkontrollierten Stuhlabgang, vor allem wenn der Kläger außer Haus ist oder das Haus gerade verlässt; letzteres auch dann, wenn er zu Hause unmittelbar zuvor noch Stuhlgang hatte. Die ihn behandelnde Internistin, die Zeugin Dr. S L. verordnet ihm daher zumindest seit Juni 2009 Loperamid-haltige Arzneimittel (u.a. “Imodium„ und “Loperamid 1A Pharma„) auf Privatrezept. Ausweislich der Fachinformationen für diese Arzneimittel (Stand Mai 2008 bei “Imodium„, Stand Juni 2010 bei “Loperamid 1 A Pharma„) umfasst das Anwendungsgebiet die symptomatische Behandlung von Diarrhöen, sofern kein kausale Therapie zur Verfügung steht, wobei eine langfristige Anwendung der ärztlichen Verlaufsbeobachtung bedarf. Loperamid ist ein Antidiarrhoikum, welches den Tonus im Darm erhöht, die propulsive Peristaltik verhindert und die Stuhlentleerungsfrequenz bei Diarrhöen reduziert.
Dem spätestens am 18. Juni 2009 bei der Beklagten eingegangenen Antrag des Klägers auf eine “Ausnahmegenehmigung für Loperamid„ entsprach die Beklagte nicht (Schreiben vom 10. Juli 2009). Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 08. Oktober 2009 zurück, da das Arzneimittel “Imodium„ nach Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinien (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nur eingeschränkt verordnungsfähig sei und keine entsprechende Indikation beim Kläger vorliege.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 11. August 2010 abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Soweit der Kläger Erstattung der Kosten i.H.v. insgesamt 26,11 Euro für die bis einschließlich 11. Juli 2009 beschafften Medikamente begehre, fehle es schon am erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der Kostenlast und der ablehnenden Entscheidung der Beklagten. Zudem sei ein sog. Primäranspruch nicht gegeben, weil Loperamid-haltige Arzneimittel nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten. Es handele sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, für die kein Ausnahmetatbestand eingreife.
Gegen dieses ihm am 01. September 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 24. September 2010, zu deren Begründung er hervorbringt: Loperamid sei entgegen anderer Behauptung ein verschreibungspflichtiges Medikament und als Dauermedikament nicht frei verkäuflich. Das Sozialgericht habe von ihm eingereichte ärztliche Atteste nicht berücksichtigt und sei seinem Beweisantrag nicht gefolgt. Deswegen stelle er außerdem einen Normenkontrollantrag. Seit Anfang September 2010 sei Loperamid aufgrund einer Nachbesserung der Arzneimittelrichtlinie verordnungsfähig. Die medizinische Besonderheit und sein Gesundheitszustand seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Von gewisser Lebensbedrohlichkeit sei auszugehen, weil es zu einem Ausfall des Elektrolythaushaltes (Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust) kommen könne.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. das Urteil de...