Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss einer Leistungspflicht der Krankenkasse für methylphenidathaltige Medikamente bei ADHS von Erwachsenen

 

Orientierungssatz

1. Bei dem Medikament Medikinet sowie anderen methylphenidathaltigen Medikamenten handelt es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel, die für den Anwendungsbereich ADHS -Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätssyndrom - beim Erwachsenen bisher weder in Deutschland noch sonst im Gebiet der Europäischen Union zugelassen sind. Die in Deutschland gegebene Zulassung für Kinder und Jugendliche genügt nicht, um bei Erwachsenen von einer Anwendung im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen.

2. Bei der Anwendung methylphenidathaltiger Mittel bei ADHS bei Erwachsenen handelt es sich nicht um einen durch Gesetzesrecht oder untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use.

3. Bei ADHS handelt es sich auch nicht um einen Seltenheitsfall.

4. Aufgrund der Datenlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass gerade mit methylphenidathaltigen Arzneimitteln ein Behandlungserfolg nachgewiesen ist. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich.

5. Auch verfassungsrechtliche Aspekte rechtfertigen den Off-Label-Use von methylphenidathaltigen Medikamenten bei ADHS im Erwachsenenalter nicht. Bei ADHS handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten als Sachleistung sowie Erstattung der ihm durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten im Zeitraum 2002 bis 2005.

Der … 1965 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungssyndrom (ADHS). Der Kläger ist als chemisch-technischer Assistent bei der O beschäftigt.

Im August 2002 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für die medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat. Etwa ein Jahr später erbat er deren schriftliche Bestätigung der mündlichen Ablehnung der Kostenübernahme. Dem kam die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2003 nach. Ritalin (Wirkstoff Methylphenidat) sei für Patienten im Erwachsenenalter nicht zugelassen und könne somit nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden. Nachdem sich der Kläger damit nicht einverstanden erklärte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 26. September 2003 erneut mit, die Kosten nicht zu übernehmen. Sein Arzt habe nicht bestätigen können, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Ausnahmekriterien für einen Off-Label-Use erfüllt seien. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. September 2003 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2004 als unbegründet zurück. Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) habe keine Zulassung für den Indikationsbereich ADHS im Erwachsenenalter, deshalb handele es sich um keine Krankenbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Die alternative Verordnung von Strattera (Wirkstoff Atomoxetin) wäre grundsätzlich möglich, hierüber zu entscheiden falle aber in die alleinige Verantwortung des behandelnden Arztes.

Mit der Klage vom 08. Juli 2004 hat der Kläger sein Begehren, die Kostenerstattung für die Selbstbeschaffung methylphenidathaltiger Medikamente in Höhe von 1431,74 Euro sowie eine entsprechende zukünftige Versorgung weiter verfolgt.

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Für diesen teilte Herr R unter dem 14. September 2004 mit, die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zu Lasten der GKV sei durch Arzneimittelrichtlinien (AMR) Ziffer 20.1.1. (Bundesanzeiger Nr. 246 vom 23.04.2004) ohne Ausnahmeregelung ausgeschlossen. Ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung von Medikinet auf die Behandlung von Erwachsenen sei vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgelehnt worden. Es lägen keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Bei einer Internet-Recherche in diversen Datenbanken (wird im Einzelnen ausgeführt) habe keine klinische Prüfung der Phase III gegenüber Placebo identifiziert werden können. Im deutschsprachigen Raum existiere eine Gruppe von Psychiatern und Psychologen, die den Einsatz vor allem methylphenidathaltiger Präparate beim ADHS des Erwachsenen befürworten. Positive Studien höherer Evidenzklassen hätten nicht vorgelegt werden können, die in der AWMF-Leitlinie genannten Studien hätten keine Zulassungsrelevanz. Auch unter zusammenfassender Würdigung der Fachliteratur (wird im Einzelnen ausgeführt) bestehe kein Konse...

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