Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Überprüfungsantrag. Sanktion wegen Meldeversäumnis. Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung. Meldeaufforderung. Meldezweck. Ermessensausübung. Einladungsdichte. keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Leitsatz (amtlich)
1. Gemäß § 32 Abs 1 S 1 SGB II ist über die Rechtsfolgen des Meldeversäumnisses zu belehren und nicht über einzelne Modalitäten der Wahrnehmung der Meldepflicht. Einer Belehrung über die Regelung des § 309 Abs 3 S 2 SGB III bedarf es in einer Meldeaufforderung daher nicht.
2. Die als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Meldeaufforderungen notwendige Ermessensausübung ist bei einer Einladungsdichte von acht Einladungen in neun Monaten nicht zwingend zu beanstanden und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Grundsicherungsträger verschiedene Meldezwecke und ab einer späteren Meldeaufforderung einzelfallbezogene und nachvollziehbare Ermessenserwägungen formuliert hat.
3. Von einer Vorlage eines Rechtsstreits an das BVerfG ist abzusehen, soweit es um ein Überprüfungsverfahren geht, so dass die Sonderregelung des § 40 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB II einschlägig ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Aufhebung der Bescheide nur für die Zeit ab der (fiktiven) Entscheidung des BVerfG in Betracht käme, die durch die streitgegenständlichen Bescheide nicht berührt wird.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. November 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich im Überprüfungsverfahren gegen acht Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen.
Der 1997 geborene Kläger stand im Leistungsbezug bei dem Beklagten, welcher ihm und seiner Familie Arbeitslosengeld II (Alg II) mit Bescheid vom 19. Mai 2017 (Zeitraum Juni 2017 bis Mai 2018), mit Aufhebungsbescheid vom 10. Juli 2017 (ab 1. August 2017 wegen Einkommens) und mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 10. Juli 2017 (August 2017 bis Januar 2018), mit Änderungsbescheid vom 25. November 2017 (Januar 2018) sowie mit Bescheid vom 15. Februar 2018 (Bewilligungszeitraum Februar bis Juli 2018) bewilligte.
Er schloss am 5. Dezember 2016 einen Praktikantenvertrag mit einer Grundschule ab, ausweislich dessen er als Hausmeister-Helfer ohne Vergütung tätig werden sollte. Die Beteiligten schlossen am 3. April 2017 eine Eingliederungsvereinbarung ab, die bis zum 18. April 2022 gültig sein sollte. Als Ziel wurde in der Eingliederungsvereinbarung die Integration auf den ersten Arbeitsmarkt genannt. Vereinbart waren unter anderem Unterstützungsleistungen bei Bewerbungen des Klägers. Der Kläger sollte aktiv und regelmäßig am Praktikum teilnehmen. Gleichwohl sollte sich der Kläger auch um Arbeitsstellen bewerben. Die Eingliederungsvereinbarung vom 3. April 2017 war an die Stelle derjenigen vom 15. Dezember 2016 getreten, in der als Ziel unter anderem die erfolgreiche Teilnahme am Praktikum vereinbart worden war.
Der Kläger wurde mit Schreiben vom 3. April 2017 zu einem Meldetermin am 2. Mai 2017 um 8:30 Uhr eingeladen. Als Meldezweck wurde angegeben: „Ich möchte mit Ihnen Ihre aktuelle berufliche Situation besprechen.“ Der Kläger sollte zum Termin mitbringen „Zertifikat Weiterbildung Hausmeister mit Führerschein Bewerbungsunterlagen Lebenslauf“. Das Einladungsschreiben enthielt - wie auch alle anderen Einladungsschreiben - folgende Rechtsfolgenbelehrung:
1. „1. Eine Verletzung der Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III liegt vor, wenn Sie der Aufforderung Ihres zuständigen Jobcenters, sich persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen.
2. Bei einer Verletzung der Meldepflicht wird das Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld um 10 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II gemindert.
3. Minderung und Wegfall dauern drei Monate und beginnen mit dem Kalendermonat nach Zustellung des entsprechenden Bescheides über die Sanktionen (§ 31b SGB II). Während dieser Zeit besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe).
4. Durch Verletzung der o.g. Pflichten können sich ggf. Überschneidungen der Sanktionszeiträume ergeben (Beispiel: 10 Prozent Minderung aufgrund erster Verletzung der Meldepflicht vom 01.05. bis 31.07. und 10 Prozent Minderung aufgrund einer weiteren Verletzung der Meldepflicht vom 01.06. bis 31.08. à Überschneidung vom 01.06. bis 31.07. mit insgesamt 20 Prozent Minderung).
5. Minderungen wegen Meldepflichtverletzungen treten zu Minderungen nach § 31 SGB II hinzu (Beispiel: 10 Prozent Minderung aufgrund Verletzung der Meldepflicht vom 01.05. bis 31.07. und 30 Prozent Minderung aufgrund einer Verletzung der Grundpflichten vom 01.05. bis 31.07. à vom 01.05. bis 31.07. insgesamt 40 Prozent Minderung).
6. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes I...