Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückbehaltung. Honorar. Sicherungszweck. Regress. Praxisgebühr. Einbehaltung der Zuzahlung. Nichteinzugsquote. Rettungsstellen. Krankenhaus. akute Behandlungsbedürftigkeit. Notfallbehandlung. Ermessen. Ermessensfehler

 

Leitsatz (amtlich)

Der Zweck des Zurückbehaltungsrechts nach § 18 Abs. 7a Satz 1 BMV-Ä bzw. § 21 Abs. 7a Satz 1 EKV liegt aus-schließlich in der Sicherung eines Schadensersatzanspruchs der Krankenkassen gegenüber dem als Einzugsstelle fungierenden Vertragsarzt (bzw. hier: Krankenhausträger). Diesen Sicherungszweck muss die von einer Kassenärztlichen Vereinigung zu treffende Ermessensentscheidung über die Zurückbehaltung von Honorar berücksichtigen.

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Berlin-Potsdam vom 17.11.2010 - L 7 KA 56/09, das vollständig dokumentiert ist.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Dezember 2008 aufgehoben; der Bescheid der Beklagten über die Zurückbehaltung von Honorar für das Quartal IV/2005 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 24. Mai 2006 sowie des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2006 wird aufgehoben; die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.820,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt als Krankenhauskonzern in B u.a. das Klinikum S, das in einer Rettungsstelle Erste-Hilfe-Leistungen erbringt. Die Beteiligten streiten um die Zurückbehaltung von Honorar in Höhe von ursprünglich 17.020,- Euro und nun noch 16.820,- Euro für das Quartal IV/2005 wegen der Nichteinbehaltung der Zuzahlung nach § 28 Abs. 4 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V, “Praxisgebühr„).

Mit undatiertem Bescheid für das Quartal IV/2005, der der Klägerin mit Schreiben vom 21. Juni 2006 zugegangen ist, modifiziert durch einen Teilabhilfebescheid vom 24. Mai 2006, hielt die Beklagte Honorar in Höhe von 17.020,- Euro für nicht erhobene Zuzahlungen zurück; im Einzelnen:

 Quartal

 Zahlungspflichtige Patienten

(Gesamtfallzahl)

nicht einbehaltene

Zuzahlung

(Fallzahl)

 Nichteinzugsquote

 Zurückbehaltenes Honorar

IV/2005

2.669 

1.702 

63,77 %

17.020,- Euro

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, das Inkassorisiko für den Erhalt der Praxisgebühr dürfe nicht den Erste-Hilfe-Stellen der Krankenhäuser aufgebürdet werden. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liege nicht vor, auf das Erheben der Praxisgebühr sei nicht verzichtet worden. Die nachträgliche Aufforderung zur Zahlung gegenüber den Patienten sei nicht zu beanstanden. Bei der Behandlung ihrer Patienten in den Erste-Hilfe-Stellen handele es sich stets um Notfälle, in denen immer eine akute Behandlungsbedürftigkeit gegeben sei. Die Besonderheiten der Notfallbehandlung ließen eine Einziehung der Zuzahlung vor der Behandlung im Regelfall nicht zu. In diesen Fällen werde den Patienten nach erfolgter Behandlung eine schriftliche Zahlungsaufforderung ausgehändigt. Dann bestehe die Möglichkeit, den Betrag sogleich bar oder per Kartenzahlung an der Kasse zu entrichten oder innerhalb von zehn Tagen zu überweisen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2006 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Auch Krankenhäuser seien verpflichtet, vor jeder ersten ambulanten Inanspruchnahme im Kalendervierteljahr eine Zuzahlung in Höhe von 10,- Euro zu erheben, sofern sie mit Erste-Hilfe-Stellen an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilnähmen. Jeder Leistungserbringer unterliege einer gesetzlichen Verpflichtung zum Zahlungseinzug. Die entsprechenden Regelungen im Gesetz und in den Bundesmantelverträgen seien auch auf ambulante Notfallbehandlungen im Krankenhaus anwendbar. Die Nichteinzugsquote liege im Falle der Klägerin durchweg bei über 50 Prozent. Auf der Grundlage von § 18 Abs. 7a Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 21 Abs. 7a Bundesmantelvertrag - Ärzte/Ersatzkassen (EKV) könne die Differenz zwischen einzubehaltender und tatsächlich einbehaltener Zuzahlung zurückbehalten werden, wenn ein Leistungserbringer - wie die Klägerin - in einem Quartal in 10 von 100 oder einem höheren Anteil der nach § 28 Abs. 4 SGB V zuzahlungspflichtigen Behandlungsfälle die Zuzahlung nicht erhoben habe. Das Ermessen sei bei der Entscheidung über die Zurückbehaltung von Honorar beanstandungsfrei ausgeübt worden. Die Klägerin habe ihre bundesmantelvertraglichen Pflichten zum Zahlungseinzug schuldhaft verletzt, was auch durch die hohe Nichteinzugsquote belegt werde. Sie habe nämlich nicht nachgewiesen, dass sie die Zuzahlung grundsätzlich vor der Inanspruchnahme der ambulanten Leistung erhebe. Die von der Klägerin beschriebene Verfahrensweise genüge den Anforderungen nicht. Auch bei Notfallbehandlungen sei die Zuzahlung grundsätzlich vor Behandlungsbeginn zu erheben, zumal aufgrund der verhältnismäßig schwachen Arzt-Patient-Bindu...

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