Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Kostenerstattungsanspruch für behindertengerechten Bau einer Tiefgarage, Umbau der Außen- und Innenanlagen eines Hauses sowie Umzugskosten. unaufschiebbare Leistung. Wohnungshilfe. Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers bei unterlassener fristgerechter Zuständigkeitsklärung. Eingliederungshilfe. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Auswirkung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beschränkt sich die Wohnungshilfe – anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung – auf die durch die Berufsausübung und Erreichung des Arbeitsplatzes ausgelöste Bedarfslage.

2. Eine Änderung der familiären Verhältnisse eines beruflich eingegliederten Behinderten begründet keinen neuen Anspruch auf Wohnungshilfe.

3. Diese Grundsätze gelten auch für Ansprüche nach dem Sozialhilferecht.

4. Der Sozialhilfeanspruch auf Förderung der Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft richtet sich darauf, dass gesellschaftliche Kontakte in ausreichendem Umfang gewährleistet sind; dabei gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab.

5. Die Normen des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen begründen keine individuellen Rechtsansprüche, sondern sind Auslegungshilfen und Aufträge an den nationalen Gesetzgeber.

6. Im Schwerbehindertenrecht setzt ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine Leistung der Rehabilitation (hier: Baumaßnahme) anstelle einer Sachleistung u.a. voraus, dass die Leistung unaufschiebbar in dem Sinn ist, dass sie sofort, ohne die Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs, erbracht werden muss.

 

Orientierungssatz

1. Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 4 Fall 1 SGB IX liegt vor, wenn die Leistung sofort, ohne die Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs erbracht werden muss. Nicht rechtzeitig erbracht ist eine Leistung, wenn diese dem Betroffenen, obwohl dieser alles nach den konkreten Umständen Erforderliche, Mögliche und Zumutbare getan hat, um die Leistung auf dem Sachleistungswege zu erhalten, nicht in der der Dringlichkeit angemessenen Zeit erbracht wurde.

2. Die Wohnungshilfe im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat zum Ziel, die Folgen behinderungsbedingter Erschwernisse auszugleichen, die sich im Leben des behinderten Menschen bei der Teilhabe am Arbeitsleben auswirken. Der Förderrahmen beschränkt sich lediglich auf die durch die Berufsausübung bzw. Erreichung des Arbeitsplatzes ausgelöste Bedarfslage. Maßnahmen, die ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zum Bestandteil der persönlichen Lebensführung gehören, sind nicht durch Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben förderungsfähig und allenfalls nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX zu übernehmen. Entscheidend ist, welchem Lebensbereich die begehrte Leistung schwerpunktmäßig zuzuordnen ist, (Vergleiche: BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, B 7 AL 16/04 R).

3. Die Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind. Zuständig ist derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist.

4. Ziel der Leistungen nach § 55 Abs. 1 SGB IX ist es zum einen, den Menschen, die auf Grund ihrer Behinderung von (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, zum anderen Personen, die in die Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern. Es gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab.

5. Der sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG oder Art. 1 Abs. 2 UN-BRK ergebende Auftrag an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet keine konkreten Leistungsansprüche, (Vergleiche: BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010, B 3 KR 13/09 R).

 

Normenkette

SGB III § 97 Fassung: 2001-06-19, § 98 Fassung: 2001-06-19, § 99 Fassung: 2001-06-19, § 102 Abs. 1 Fassung: 2001-06-19, §§ 19, 12; SGB IX § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 2, §§ 7, 14 Abs. 1, 2 S. 1, § 15 Abs. 1 Sätze 2-4, § 33 Abs. 1, 3 Nr. 6, Abs. 8 Nr. 8, § 55 Abs. 1, 2 Nr. 5; SGB XII Fassung: 2003-12-27; SGB XII § 10 Abs. 3, § 19 Abs. 3, § 53 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 54 Abs. 1 Sätze 1-2; Eingliederungs-Verordnung § 1; UN-BRK Art. 1 S. 2, Art. 5 Abs. 1-2, Art. 19, 27 Abs. 1 S. 1, Art. 28 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 24. September 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch...

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