Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Behandlung. Medizinprodukt. Sculptra (New Fill). neue Behandlungsmethode. Systemversagen. Krankenversicherung. ärztliche Behandlung. keine Leistungspflicht für Injektionen mit Medizinprodukt Sculptra
Leitsatz (amtlich)
Injektionen mit dem Medizinprodukt Sculptra stellen eine einheitliche ärztliche Behandlung im Sinne des § 28 Abs. 1 SGB V dar und sind auch dann keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie der Behandlung einer Krankheit (hier: Lipatrophie bei AIDS-Erkrankung) dienen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für Injektionen mit Poly-L-Milchsäure, die unter dem Handelsnamen Sculptra (früher: New-Fill) vertrieben wird.
Der 1959 geborene Kläger leidet unter einem fortgeschrittenen Immundefekt bei HIV-Infektion (AIDS) im Stadium CDC C3, der seit Jahren mit antiretroviralen Medikamenten behandelt wird. Hierdurch hat sich ein schweres und progredientes Wasting- und Lipodystrophie-Syndrom entwickelt, das zu einer ausgeprägten Lipatrophie mit einem massiven Abbau des peripheren Fettgewebes an den Armen, den Beinen und vor allem im Gesicht geführt hat. Nach einem Attest des behandelnden Arztes für Innere Medizin Sch vom 31. März 2005 habe der Verlust des facialen Fettgewebes bei ihm außerordentliche Ausmaße angenommen. Dies habe neben der abstoßend wirkenden Entstellung zu rezidivierenden Konjunktivitiden und Parodontiden sowie Dermatosen geführt. Er leide unter erheblichen Schmerzen beim Kauen und Schlucken, es bestehe ein ständiges Spannungsgefühl im Gesichtsbereich.
Sculptra ist am 11. Februar 2002 von der Europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte mit der CE-Nr. 0459 zugelassen worden. Sein Anwendungsgebiet erstreckt sich auf die Erhöhung des Volumens von eingesunkenen Hautzonen zur Korrektur von Falten, Furchen und Narben. Es wird unter die betreffenden Hautpartien injiziert. Das Anwendungsgebiet der HIV-Lipatrophie wird nicht explizit genannt, ist jedoch durch die Formulierung der “Zulassung„ mit eingeschlossen (vgl. Gutachten zur “Injektionstherapie mit Poly-L-Milchsäure - Sculptra™, früher New-Fill™ - zur Behandlung der fazialen Lipatrophie bei HIV-Patienten„ der “Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 “Arzneimittelversorgung„ der MDK-Gemeinschaft„ vom August 2006, Punkt 5, unter Bezugnahme auf eine Auskunft der Aventis Deutschland vom 25.10.2005 und eine Internetabfrage vom 27. Februar 2006).
Einen ersten Antrag auf Übernahme der Kosten lehnte die Beklagte ab. Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin (S 87 KR 1350/03) verglichen sich die Beteiligten dahingehend, dass die Beklagte anerkannte, dass es sich bei der Lipodystrohiesymptomatik um eine behandlungsbedürftige Erkrankung handele. Ein Anspruch auf Behandlung mit New Fill bestehe nicht, es solle jedoch unter Einschaltung des behandelnden Arztes Dr. R geprüft und entschieden werden, ob eine alternative Behandlungsmethode im System erfolgversprechend sei.
Der Kläger reichte sodann ein Attest des Hautarztes Dr. R vom 22. April 2004 ein, nach dem eine Behandlungsalternative nicht bestehe. Eine autologe Fetttransplantation komme nicht in Betracht, da dies wegen der ausgeprägten Lipatrophie des gesamten Körperfettes nicht möglich sei und diese Alternativbehandlung auch keine dauerhaften Resultate biete. Andere “Fillings„, wie z. B. Aquamid, seien wegen der schlechten, nicht dauerhaften Resultate nicht anzuraten. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK, Dr. F) nahm unter dem 5. Mai 2004 und 10. Juni 2004 dahingehend Stellung, dass alternative Behandlungsmethoden tatsächlich nicht bestünden. Alternative “Fillings„ seien darüber hinaus, ebenso wie New Fill, keine Kassenleitung, da sie Medizinprodukte seien.
Nach Schriftwechsel zwischen den Beteiligten beantragte der Kläger unter Vorlage von Attesten des Dr. R vom 2. März 2005 und des Dr. Sch vom 31. März 2005 erneut die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Sculptra. Es habe sich eine neue Sachlage ergeben, auch habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des MDK vom 27. April 2005 (Dr. H) teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 23. Mai 2005 mit, es ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Zwar heiße New Fill jetzt Sculptra. Es handele sich jedoch um dieselbe Substanz. Sie verweise auf den vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleich, in dem festgelegt worden sei, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten nicht bestehe.
Der Kläger hat am 1. Juni 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er - ohne Bezugnahme auf das Schreiben vom 23. Mai 2005 - die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für diese Therapie begehrte. Die Beklagt...