Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Amtsermittlungspflicht. Krankenversicherungspflicht gem § 5 Abs 1 Nr 9 SGB 5. Verlängerungsgrund. aktueller und früherer Gesundheitszustand. Schweigepflichtentbindungserklärung. Sachverhaltsermittlung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Pflicht zur Amtsermittlung hat das Sozialgerichtsgesetz den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, die ihr unabhängig vom Willen und der Interessenlage der Prozessbeteiligten zu entsprechen haben. Damit unvereinbar wäre es, dass Ermittlungen zum Sachverhalt durch einen Prozessbeteiligten nach dessen Gutdünken gesteuert oder gefiltert werden.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. November 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) über den 31. März 2009 hinaus.

Der 1980 in Russland geborene Kläger erwarb in M im Jahr 1998 ein Mittelschulattestat und studierte anschließend ein Jahr lang die Fächer Biologie und Chemie an der Universität. Vom 11. Januar 2001 bis zum 31. März 2002 war er im Studienkolleg für ausländische Studenten an der Freien Universität Berlin eingeschrieben und bestand am 12. Dezember 2001 beim Landesschulamt Berlin die Feststellungsprüfung und somit seine Eignung zur Aufnahme eines Studiums an den deutschen Universitäten und ihnen gleichgestellten Hochschulen bzw. an den Fachhochschulen, in den Studiengängen nachgewiesen, die dem Schwerpunktkurs “M„ zugeordnet sind. Zum Sommersemester 2002 nahm er an derselben Universität ein Medizinstudium auf und war seither im Rahmen der KVdS Mitglied der Beklagten.

Mit Scheiben vom 25. März 2009 teilte er der Beklagten mit, er befinde sich im praktischen Jahr, d.h. den letzten beiden Semestern des Medizinstudiums, welches er voraussichtlich 2010 abschließe. Als Verlängerungstatbestände für die Pflichtversicherung als Student gab er chronische Krankheiten an. Nachdem die Beklagte um ärztliche Belege hierfür gebeten hatte, wies der Kläger daraufhin, dass ihr “die ärztlichen Stellungnahmen zu den chronischen Krankheiten bereits„ vorlägen und sie hierzu die ihr vorliegende Akte recherchieren möge; die von ihm bereits in der Vergangenheit geltend gemachten chronischen Krankheitsbilder hätten sein Medizinstudium deutlich erschwert. Mit Bescheid vom 31. Juli 2007 teilte ihm die Beklagte mit, dass die Krankenversicherung der Studenten nicht fortbestehen könne, weil keine anzuerkennenden Hinderungszeiten belegt worden seien. Er habe jedoch die Möglichkeit, sich bei ihr freiwillig zu versichern.

Mit seinem Widerspruch brachte der Kläger vor, dass seine ärztliche Ausbildung auch aufgrund einer gesetzwidrigen Nichtzulassung zum weiteren Ausbildungsjahr ab Februar 2009 gehindert worden sei, auch wenn die Universität die streitgegenständliche Klausur zwischenzeitlich für bestanden erklärt habe. Außerdem reichte er ein ärztliches Attest des praktischen Arztes K vom 11. August 2009 ein, demzufolge der Kläger sich wegen chronischer Kopfschmerzen, Mitralklappenprolaps und Verdacht auf Myopathie in seiner ambulanten Behandlung befinde. Im Rahmen einer telefonischen Anfrage seitens der Beklagten und in seinem Schreiben vom 17. November 2009 erklärte Herr K, dass der Kläger durch die o.g. Krankheiten nicht an der Ausübung seines Studiums gehindert worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; über das Ende des 14. Fachsemesters, d.h. den 31. März 2009 hinaus, könne der Kläger nicht der KVdS angehören.

Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, die KVdS sei um die Zeit des Studienkollegs zu verlängern, und entband unter dem 12. März 2010 seine ihn früher und gegenwärtig behandelnden Ärzte gegenüber dem Sozialgericht von ihrer Schweigepflicht. Er habe - so sein weiteres Vorbringen - auch eine “paryosmaer Tachykardie„ bei arrhythmischen Rhythmusstörungen sowie chronischen Kopf- und Rückenschmerzen gelitten. Die Äußerungen seines behandelnden Arztes gegenüber der Beklagten unterlägen einem Beweisverwertungsverbot.

Nachdem das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 4. Dezember 2012 abgelehnt hatte, hob das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 1 KR 11/13 B PKH) mit Beschluss vom 19. März 2013 die Entscheidung des Sozialgerichts auf und bewilligte ihm Prozesskostenhilfe, weil der Klage eine Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden könne. Das Sozialgericht müsse die tatsächlichen Grundlagen für die vom Kläger vorgebrachten Erkrankungen näher aufklären.

Daraufhin erklärte der Kläger, er hebe seine Schweigepflichtentbindungserklärung vom 12. März 2010 auf, weil ihr Fortbestand “zur Vermeidung des weiteren Rechtsmissbrauchs […] nicht mehr sachdienlich„ sei. Soweit das Sozialgericht Anfragen an die behandelnden Ärzte beabsichtige, könnte...

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