Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines nahezu blinden Versicherten auf Versorgung mit dem Hilfsmittel Einkaufs-Fuchs. Mittelbarer Behinderungsausgleich. Allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Haushaltsführung. Einkaufen. Wirtschaftlichkeitsgebot. Kosten-Nutzen-Analyse. Blindenhilfe. Gleichbehandlung
Orientierungssatz
1. Der sog. Einkaufs-Fuchs ist ein Hilfsmittel i. S. von § 33 SGB 5. Im Hilfsmittel-Verzeichnis ist er unter der Nr. 07.99.03.0001 aufgeführt. Er fördert u. a. den durch Blindheit eingetretenen Funktionsverlust. Er besteht aus einem ergonomischen Strichcode-Handscanner, einem Sprachausgabegerät, einer Speicherkarte und einem Akku. Damit ermöglicht er u. a. Erleichterungen in der Bewältigung des Haushalts und des Einkaufens, vgl. BSG, Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 KR 38/94.
2. Er dient dem mittelbaren Behinderungsausgleich i. S. von § 31 Abs. 1 S. 1 3. Alt. SGB 5, um ein selbständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Für das selbständige Haushalten ist eine möglichst uneingeschränkte Wahrnehmbarkeit erforderlich.
3. Ist der Versicherte zur Führung seines Haushalts im Wesentlichen ohne fremde Hilfe nicht in der Lage, so besteht gegenüber einem Erblindeten regelmäßig die Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers, weil es für den Einkaufs-Fuchs derzeit keine wirtschaftliche Alternative gibt.
4. Das allein noch in Betracht kommende Gerät "Pocket-Shopper" erfordert einen erheblichen Schulungsaufwand. Zudem ist nicht gewährleistet, dass es auch künftig angeboten wird. Damit ist von einem entscheidungserheblichen Wirtschaftlichkeitsvorteil des Alternativsystems nicht auszugehen.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1, § 12 Abs. 1; SGB XII § 72 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Versorgung der Klägerin mit einem “Einkaufs-Fuchs„ der S (Hilfsmittelverzeichnis Nr. 07.99.03.0001), der ca. 3.000 € kostet.
Die 1959 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich versichert. Sie leidet an Erblindung durch Lebersche Optikus Atrophie. Sie konnte noch vor noch einigen Jahren nahezu normal sehen. Mittlerweile ist sie jedoch nahezu blind und als schwerbehindert im Sinne des Gesetzes anerkannt. Die Restsehfähigkeit beträgt 2 % links und rechts. Die Klägerin kann mit dem noch vorhandenen Restsehvermögen (Hell/Dunkelwahrnehmung, grobe Kontrastwahrnehmung) weder lesen, noch Gegenstände anhand ihrer optisch wahrnehmbaren Beschaffenheit zu identifizieren.
Sie geht nach wie vor einer beruflichen Tätigkeit nach und führt ihren Haushalt. In diesem lebt sie mit ihrem (normal sehenden) Lebensgefährten. Dieser ist jedoch aus beruflichen Gründen häufig nicht zu Hause. Die Klägerin führt den Haushalt deshalb im Wesentlichen. Ihr steht eine ständig verfügbare Hilfsperson nicht zur Verfügung.
Unter Einreichung einer ärztlichen “Verordnung von vergrößerten Sehhilfen„ ihrer Augenärztin Dipl. med. S vom 20. Februar 2007 beantragte der Hersteller für die Klägerin mit Schreiben vom 01. März 2007 die Gewährung eines Einkaufs-Fuchses bestehend aus einem ergonomischen omnidirektionalen Strichcode-Handscanner, einem Sprachausgabegerät, einer austauschbaren Speicherkarte mit aktuellem Datenbestand sowie einem hochwertigen Akku. Der Kostenvoranschlag belief sich auf 3.094,00 €. Mit dem Einkaufs-Fuchs können die Strichcodes, die sich auf den meisten der im Handel befindlichen Produkten finden, erfasst und dem Benutzer durch Vorlesen der wichtigsten Produktinformationen verfügbar gemacht werden. Das System erkennt derzeit rund 900.000 verschiedene Waren. Über das eingebaute Mikrophon lassen sich auch neue Daten selbst eingeben. So können auch Lebensmittelvorräte oder andere Gebrauchsgegenstände am Arbeitsplatz wie zu Hause (Aktenordner, CDs oder ähnliches) mit selbstklebenden Strichcode-Etiketten versehen werden.
Die Klägerin kann bzw. könnte das Geräte bedienen und wiederholt täglich einsetzen. Sie verspricht sich davon, es hauptsächlich zu Hause einzusetzen. So könne sie z. B. Haarshampoo und Haarspülung unterscheiden, unterschiedliche Schuhcreme oder beispielsweise Back- von Tortengusspulver, Tetrapackgetränke, Joghurt- von Schmandbechern. Auch könnte sie (Papier-) Dokument, die im Rechtsverkehr benötigt werden, etwa Versicherungsscheine, Bescheide oder Ausweisdokumente, zuverlässig finden und identifizieren.
Da die Klägerin schrittweise erblindet ist, hatte sie sich an visuelle Zuordnungskriterien gewöhnt. Sie stößt immer wieder an ihre Grenzen, wenn ihre selbst auferlegten Ordnungsprinzipien nur geringfügig durcheinander geraten oder wenn sie mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Putzmitteln oder etwa Dokumenten konfrontiert ist, die sich allein über den Tast- oder Geruchssinn nicht voneinander unterscheiden lassen. Hier kann bzw. könnte ihr das Barcodelesegerät helfen. Die Klägerin ist bemüht und kann ...