Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anforderungen an vertragsärztliche Verordnung. stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Nachholung der Verordnung. Kassenwechsel. Verurteilung des beigeladenen Versicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Eine vertragsärztliche Verordnung muss die von § 15 Abs 1 S 1 SGB 5 geforderten Voraussetzungen erfüllen, dh der Vertragsarzt muss eine hinreichend konkretisierte Maßnahme anordnen und für die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Maßnahme sowohl gegenüber dem Versicherten als auch gegenüber den Krankenkassen die Verantwortung übernehmen. Daran fehlt es, wenn der Arzt keine Behandlung anordnet, sondern lediglich "befürwortet", "empfiehlt" oder "anregt", weil sie ihm "sinnvoll" erscheint. Mit diesen Formulierungen in ärztlichen Bescheinigungen begrenzen Ärzte ihre Stellungnahmen auf Empfehlungen oder gutachterliche Äußerungen, ohne Verantwortung übernehmen zu wollen, so dass entsprechenden Bescheinigungen der Charakter von "Verordnungen" fehlt.
2. Die vertragsärztliche Verordnung kann grundsätzlich noch bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) nachgeholt werden.
3. Wechselt der Versicherte die Krankenkasse, müssen alle Leistungsvoraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch (einschließlich der vertragsärztlichen Verordnung) vor dem Wechsel vorliegen; sie können auch in einem bereits vorher begonnenen Sozialrechtsstreit danach nicht mehr nachgeholt werden, um den Anspruch gegen die bisher zur Leistungserbringung zuständige Krankenkasse zu begründen.
4. Der Senat macht von seinem ihm in § 75 Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen, einen beigeladenen Versicherungsträger zu verurteilen nur dann Gebrauch, wenn der vom Kläger gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch in diesem Rechtsstreit bereits besteht und der Kläger nur gegen den falschen Versicherungsträger vorgegangen ist.
Normenkette
SGB V § 15 Abs. 1 S. 1, §§ 19, 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, § 40 Abs. 3 S. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 8; Reha-RL §§ 5-6, 11
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. November 2003 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine stationäre Rehabilitation.
Der 1948 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Mai 1992 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und war im Hinblick darauf bis zum 31. Mai 2004 versicherungspflichtiges Mitglied der Be- klagten; seit dem 1. Juni 2004 ist er versicherungspflichtiges Mitglied der Beigeladenen.
Er leidet u. a. an einem gemischtförmigen Asthma bronchiale, einer kombinierten obstruktiv-restriktiven Lungenfunktionsstörung, einer vocal chord dysfunction, einer psychogenen Gangstörung, einem Tremor bei neurozirkulatorischer Dystonie, einer Polyarthrose sowie einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom. Er erhielt deswegen von der Beklagten in der Zeit vom 30. Mai bis zum 27. Juni 2001 eine stationäre Rehabilitation im Klinikzentrum in Bad Sulza. Dort erhielt er eine musiktherapeutische Einzelkonsultation, Atem-Einzelkrankengymnastik, Arthrose- Einzelkrankengymnastik, Solebecken- Einzelkrankengymnastik, klassische Massage Thoraxbereich, Kurzwelle, Hochvolttherapie Hüftgelenke beidseits, Peloidpackungen, 2 mal täglich Soleinhalationen, Ergo- und Psychotherapie sowie Anwendungen im Gradierwerk. In dem Abschlussbericht der Rehabilitationseinrichtung vom 26. Juni 2001 hieß es im Rahmen der sozialmedizinischen Beurteilung: Bei dem 53-jährigen Kläger bestünden schwere chronische Leiden im Sinne einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung mit asthmatischer Verlaufsform und rezidivierenden Zuständen der Stridoratmung sowie das Bild einer funktionellen motorischen Tetraparese mit erheblichen Einschränkungen des Gehvermögens und des Koordinationsvermögens. Unter der klinischen Heilmaßnahme wird eine leichte Entspannung erreicht, eine wesentliche Verbesserung der ventilatorischen Situation und auch der motorischen Situation sei nicht gelungen. Der Patient sei teilweise pflegebedürftig, eine wesentliche Verschlechterung des Zustandes mit völligem Verlust der Selbständigkeit sei angesichts des bisherigen Verlaufes vorläufig nicht zu erwarten.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2002 beantragte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Atteste seiner behandelnden Ärzte Dr. Sch (Facharzt f. Lungen und Bronchialheilkunde vom 30. Juni 2002, vom 4. Juni 2003 sowie vom 2. April 2005, 13. Juni 2004 und 8. August 2007), Dr. Sch (Facharzt f. Innere Medizin vom 27. Juni 2002 und vom 5. Mai 2003 sowie vom 19. März 2005), T /Dr. R (Fachärzte f. Hals-Nasen-Ohrenheilkunde vom 10. Juli 2002 und vom 5. Mai 2003) und Dres. M und L (Fachärzte für Orthopädie vom 13. Juni 2004) eine erneute stationäre Behandlungsmaßnahme. Dr. Sch befürwortete in seinen Stellungnahmen eine vorzeitige Wiederauflage des stationären Heilverfahrens vom Juni 2001, welches zu einer Besserung...