Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Implantatversorgung durch die Krankenversicherung

 

Orientierungssatz

1. Nicht zur der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden zahnärztlichen Behandlung gehören nach § 28 Abs. 2 S. 9 SGB 5 implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 SGB 5 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.

2. Als besonders schwerer Fall i. S. von § 28 Abs. 2 S. 9 SGB 5 kommt u. a. die generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen in Betracht. Diese setzt voraus, dass zumindest die überwiegende Zahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlt.

3. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung der Versicherten zugeordnet werden, unterliegt einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Soll die vom Versicherten begehrte Versorgung mit implantologischen Leistungen lediglich Zahnersatz abstützen, so ist eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 29. September 2010 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine Implantatversorgung mit Suprakonstruktion (nur noch) im Oberkiefer.

Der 1983 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet unter einer angeborenen, genetisch bedingten Fehlentwicklung seines Gebisses.

Ein Heil- und Kostenplan seine Zahnarztes O K vom 1. Oktober 2008 sah zunächst die Erstellung von acht Implantaten vor, im Oberkiefer bei den Zähnen 16, 13 - 23, 26 und im Unterkiefer bei den Zähnen 45, 42 - 32, 35. Die Implantate sollten als Stützpfeiler für später zu erstellende Suprakonstruktionen fungieren. Dem legte der Zahnarzt als Befund die Nichtanlage von insgesamt 16 Zähnen zugrunde, nämlich im Oberkiefer der acht Zähne 18, 17, 16, 15 - 25, 26, 27, 28 und im Unterkiefer der acht Zähne 48, 47, 45, 41 - 31, 35, 37, 38.

Im Oktober 2008 beantragte der Kläger unter Vorlage dieses Heil- und Kostenplanes die Übernahme der Kosten für die Implantatversorgung und die nachfolgende Versorgung mit Zahnersatz bei der Beklagten. Die Beklagte beauftragte den Zahnarzt U D mit der Erstellung eines Gutachtens zu der Frage, ob eine Ausnahmeindikation (“besonders schwerer Fall„) im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V vorliege. In seinem Gutachten vom 18. November 2008, ergänzt durch eine weitere Stellungnahme vom 10. Dezember 2008, führte der Gutachter aus, dass eine Ausnahmeindikation aufgrund der Oligodentie vorliege. Die Implantatversorgung mit Suprakonstruktion sei das Mittel der Wahl. Eine herkömmliche Versorgung mit einer Totalprothese sei nicht zu empfehlen, weil dies bei dem noch sehr jungen Kläger mit einem in Zukunft zu befürchtenden drastischen Knochenabbau im Kiefer einherzugehen drohe, der eine spätere suffiziente Versorgung unmöglich machen werde.

Zur weiteren Klärung der Frage, ob eine Ausnahmeindikation vorliege, holte die Beklagte eine Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung ein. Diese erklärte mit Schreiben vom 23. Dezember 2008: Zwar stelle die generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen einen besonders schweren Fall im Sinne des Gesetzes dar. Allerdings lasse sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2004 (B 1 KR 37/02 R) ableiten, dass die Ausnahmeindikation nicht gegeben sei, wenn in einem Kiefer weniger als neun Zähne fehlten. Für den Kläger komme die Implantatversorgung daher nicht in Betracht, da in keinem Kiefer die Mehrzahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne fehlt, sondern nur jeweils die Hälfte, nämlich acht.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 2008 bezog die Beklagte sich hierauf und lehnte eine Übernahme der Kosten für die Implantatversorgung einschließlich einer Suprakonstruktion ab.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs reichte der Kläger Stellungnahmen des Zahnarztes O K vom 9. April 2009 (“herkömmlicher Zahnersatz käme einer Körperverletzung gleich„) und des Facharztes für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie H J vom 8. April 2009 (“herausnehmbarer Zahnersatz keine adäquate Versorgungsform für einen 25jährigen Patienten„) ein.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Fehlten in einem Kiefer weniger als neun Zähne, so habe eine Krankenkasse keinen Ermessensspielraum und dürfe keine Ausnahmeindikation annehmen.

Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger angeführt, die Beklagte fehlinterpretiere das von ihr herangezogene Urteil des Bundessozialgerichts. Dort heiße e...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge