Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. kein Einkommenseinsatz. Ausbildungsgeld gem §§ 104 Abs 1 Nr 2, 107 SGB 3. Anwendung von § 83 Abs 1 SGB 12. keine Zweckidentität. keine Hilfe für die Vergangenheit. keine Anwendbarkeit auf §§ 41ff SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Die Anrechnung von Ausbildungsgeld gem §§ 104 Abs 1 Nr 2, 107 SGB 3 als Einkommen auf Leistungen nach §§ 41ff SGB 12 ist gem § 83 Abs 1 SGB 12 mangels Zweckidentität mit den Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter ausgeschlossen.

2. Bei dem Ausbildungsgeld gem §§ 104, 107 SGB 3 handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine zusätzliche Leistung, die auf eine Erhöhung der für den persönlichen Bedarf tatsächlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerichtet ist, um die besonderen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) zu decken und hierdurch die Durchführung dieser Maßnahme zu fördern (vgl BSG vom 26.9.1990 - 9b/7 RAr 100/89 = SozR 3-4100 § 58 Nr 1).

3. Der Grundsatz "Keine Hilfe für die Vergangenheit" als Strukturprinzip der Sozialhilfe findet auf die Bestimmungen über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41ff SGB 12 keine Anwendung (vgl BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 8/06 R).

 

Tenor

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2007 wie folgt neu gefasst wird:

Der Bescheid des Beklagten vom 01. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2005 wird geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 01. Juni 2005 bis 31. Mai 2006 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe weiterer 57, 00 Euro monatlich, insgesamt 684, 00 Euro, zu zahlen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von höheren Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -, ohne Anrechnung von Ausbildungsgeld als Einkommen.

Die 1971 geborene Klägerin leidet an einer chronischen psychischen Krankheit und steht unter Betreuung ihres Vaters. Sie arbeitete seit dem 01. März 2005 mit 35 Wochenstunden im Eingangsverfahren des Berufsbildungsbereichs einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Hierfür erhielt sie Ausbildungsgeld von der Bundesagentur für Arbeit, und zwar für die Zeit vom 01. März 2005 bis 28. Februar 2006 in Höhe von 57,00 € und für die Zeit vom 01. März 2006 bis 31. Mai 2006 in Höhe von 67,00 €.

Mit Bescheid vom 20. Juni 2005 gewährte der Beklagte der Klägerin Grundsicherungsleistungen wegen Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab 01. Juni 2005 bis auf Weiteres, zunächst bis einschließlich Mai 2006. Dabei wurde das Ausbildungsgeld vom 01. Juni 2005 an bis auf weiteres in Höhe von 57,00 € als Einkommen angerechnet. Aufgrund von Änderungen in der Höhe des Mietzinses und des Pflichtversicherungsbeitrages korrigierte der Beklagte den Bescheid vom 20. Juni 2005 mit Änderungsbescheid vom 01. Juli 2005 mit Wirkung ab 01. Juni 2005. Das Ausbildungsgeld wurde weiterhin als Einkommen angerechnet.

Am 26. Juli 2005 legte der Betreuer der Klägerin gegen den Bescheid vom 01. Juli 2005 Widerspruch ein, mit dem er sich dagegen wandte, dass die Beklagte einen Erstattungsanspruch bei der Kindergeldkasse anmelden wolle. Am 11. August 2005 ergänzte er den Widerspruch und wandte sich jetzt auch gegen die Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Einkommen. Das Ausbildungsgeld sei eine zweckbestimmte Leistung, die nicht mit der gewährten Grundsicherung identisch sei. Vielmehr habe das Ausbildungsgeld Anreizfunktion, den Arbeitswillen und die Arbeitsbereitschaft des Behinderten zu fördern und zu erhalten. Dies sei nur gewährleistet, wenn seiner Tochter vom Ausbildungsgeld ein bedeutender Teilbetrag verbleibe.

Nachdem der Beklagte dem Widerspruch teilweise, bezüglich des Kindergeldes, abgeholfen hatte, wies er ihn im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2005 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Ausbildungsgeld sei eine Lohnersatzleistung nach den §§ 104 bis 108 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III - in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX -. Nach § 45 Abs. 5 SGB IX sei Ausbildungsgeld eindeutig zweckbestimmt für den Lebensunterhalt einzusetzen. Somit sei es als Einkommen anzurechnen.

Am 27. Dezember 2005 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt und auf die bisher ergangene Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung des Ausbildungsgeldes verwiesen hat.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27. Februar 2007 die angefochtenen Bescheide abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung ab 01. Juni 2005...

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