Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Nachzahlung von SGB 2-Leistungen auf das mit einer Pfändung belastete Konto des Grundsicherungsberechtigten als Einkommen
Orientierungssatz
Leistungen der Grundsicherung, die als Nachzahlung auf das mit einer Pfändung belastete Konto des Grundsicherungsberechtigten überwiesen werden, sind Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB 2. Sie bewirken einen wertmäßigen Zuwachs, nämlich eine Veränderung des Vermögensstandes (BSG Urteil vom 10. 5. 2011, B 4 KG 1/10 R). Nicht erforderlich ist, dass der Einnahme bereits ein Marktwert zukommt. Dem Empfänger ist es im Rahmen seiner Selbsthilfeobliegenheit nach § 2 Abs. 1 S. 2 SGB 2 zuzumuten, auf die Rückgängigmachung der erfolgten Pfändung hinzuwirken. Dies gilt erst recht, wenn diese erkennbar rechtswidrig erfolgt ist.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2017 geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 27. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2015 wird aufgehoben, soweit der Beklagte darin gegenüber der Klägerin eine über den Betrag von insgesamt 298,02 € hinausgehende Erstattungsforderung geltend macht. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt zwei Fünftel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen des Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 28. Februar 2015.
Die Kläger, geboren 1979 (Klägerin) bzw 1964 (Kläger) lebten im Streitzeitraum zusammen mit dem 2004 geborenen Sohn der Klägerin in einem gemeinsamen Haushalt. Im Streitzeitraum bezog die Klägerin Erwerbseinkommen iHv mtl 1.068,51 € und Kindergeld iHv mtl 184,- €, der ab 3. Dezember 2014 beschäftigte Kläger erzielte Zuflüsse aus Arbeitsentgelt iHv 981,44 € netto (15. Januar 2015) bzw 1.007,86 € netto (15. Februar 2015). Der Beklagte gewährte für den in Rede stehenden Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die auf ein mit einer Pfändung iHv 932,86 € belastetes Konto des Klägers - als Nachzahlung nach vorübergehender Zahlungseinstellung wegen der Beschäftigungsaufnahme - am 5. Februar 2015 (Wertstellung am 10. Februar 2015) überwiesen wurden (Bescheide vom 7. November 2014 und Änderungsbescheid für die Zeit ab 1. Januar 2015 vom 1. Dezember 2014); am 3. März 2015 wurde vom benannten Konto ein Betrag iHv 500,- € gepfändet.
Nach Vorlage der Einkommensnachweise des Klägers im April 2015 hob der Beklagte mit Bescheiden vom 27. April 2015 den Klägern gegenüber die „Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 28. Februar 2015 „ganz“ auf und benannte den Bewilligungsbescheid vom 7. November 2014 und einen Änderungsbescheid vom „30.11.2014“; für den Erstattungszeitraum erfolgte in den Bescheiden eine Auflistung mit Teilbeträgen für die einzelnen Leistungsbestandteile (Regelleistung sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung ≪KdUH≫). Bei den Klägern sei Einkommen anzurechnen, das zum Wegfall des Anspruches führe. Der Kläger habe zudem grob fahrlässig seine Mitteilungspflichten verletzt. Die Kläger hätten jeweils 470,52 € zu erstatten (Regelleistung jeweils mtl 60,03 €; Leistungen für KdUH jeweils mtl 175,23). Die Widersprüche der Kläger blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 27. Juli 2015); im Widerspruchsbescheid, dem ein Berechnungsbogen beigefügt war, werden die Bescheide vom 7. November 2014 und 1. Dezember 2014 benannt.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat auf die - verbundenen - Klagen die Bescheide vom 27. April 2015 hinsichtlich der dort gegenüber den Klägern getroffenen Regelungen aufgehoben und die Klage, soweit sie namens des Sohnes erhoben worden sei, abgewiesen (Urteil vom 31. Mai 2017). Zur Begründung ist ausgeführt: die Klagen seien hinsichtlich der Kläger begründet, weil der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden die Bewilligung vom 1. Dezember 2014 nicht aufgehoben habe, sondern eine - nicht existierende - vom 30. November 2014. Der Bewilligungsbescheid vom 1. Dezember 2014 sei daher weiterhin Grundlage der Leistungsgewährung.
Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen dieses Urteil. Er trägt vor: Bei der falschen Datumsangabe zu dem betreffenden Bescheid handele es sich um eine offenbare Unrichtigkeit, wie aus dem Gesamtzusammenhang zu ersehen gewesen sei. Der Beklagte hat im Verlauf des Berufungsverfahrens die Anhörung der Kläger zu der streitbefangenen Verwaltungsentscheidung mit Schreiben vom 4. Juli 2017 nachgeholt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2017 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten haben vorgelegen und sin...