Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittel (hier: Motorbewegungsschiene für die passive Bewegung des Knies) - produktbezogene Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis ohne Beschränkung auf einzelne Funktionen - Nutzennachweis hinsichtlich aller Funktionen des Hilfsmittels (hier auch für die aktive Bewegung des Knies/Koordinationstherapie). Bestandteil einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode. Leistungspflicht erst ab positiver Bewertung durch Gemeinsamen Bundesausschuss - Funktionstauglichkeit und Sicherheit des Produkts. Konformitätsbewertungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Bietet ein Hersteller ein medizinisches Hilfsmittel i.S.d. § 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V an, das über mehrere Funktionen verfügt (hier: Motorbewegungsschiene für die aktive und passive Bewegung des Knies sowie für eine Koordinationstherapie), setzt die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis voraus, dass der medizinische Nutzen hinsichtlich sämtlicher auf dem Markt angebotener und beworbener Funktionen nachgewiesen ist. Das Hilfsmittel ist nur insgesamt und nicht bezogen auf einzelne Funktionen eintragungsfähig.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 30.000,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufnahme einer Motorbewegungsschiene für die passive Bewegung des Knies in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV).
Die klagende GmbH, die zum weltweit agierenden Medizintechnikunternehmen ENOVIS gehört, produziert und vertreibt in Deutschland Medizinprodukte, darunter die motorbetriebene Bewegungsschiene „ARTROMOT® ACTIVE-K“. Mittels dieser Schiene kann - je nach Einsatz der entsprechenden Chipkarte (rot oder blau) - sowohl die aktive (CAM = controlled active motion - kontrollierte aktive Bewegung) als auch die passive Bewegungstherapie (CPM = continuous passive motion - kontinuierliche passive Bewegung) durchgeführt werden. Als weitere Therapiemöglichkeit bietet das Produkt ausweislich der im Internet abrufbaren Informationen (https://www.enovis-medtech.de/ARTROMOTACTIVEK, abgerufen am 22. November 2023) eine Koordinationstherapie zur Steigerung der Koordinationsfähigkeit/Propriozeption. In ihrer CPM-Funktion dient die Schiene der postoperativen, kontinuierlichen und passiven Bewegung von Gelenken und soll Gelenkverklebungen und Gelenkversteifungen verhindern und das Operationsergebnis sichern. Die CAM-Therapie soll zusätzlich frühzeitig die Wiederherstellung der funktionellen Stabilität und der Koordinationsfähigkeit ermöglichen. Derzeit sind in der Produktgruppe 32 (Therapeutische Bewegungsgeräte) Untergruppe 32.04.01 (Fremdkraftbetriebene Kniebewegungstrainer) fünf CPM-Bewegungsschienen im HMV gelistet, darunter zwei Produkte der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerinnen (Artromot K2 Pro ≪Aufnahmedatum 5. April 2011≫ und ARTROMOT-K1 ≪Aufnahmedatum 19. Juli 2012≫). Eine Aufnahme von CAM-Schienen ins HMV ist bisher nicht erfolgt.
Der Beklagte lehnte die am 22. April 2013 beantragte Aufnahme des Produkts „ARTROMOT® ACTIVE-K mit Patienten-Chipkarte ≪blau≫ ausschließlich für den CPM-Betrieb im Mietservice, Art.-Nr. 80.00.070“ in das HMV (Untergruppe 32.0401 - Fremdkraftbetriebene Kniebewegungstrainer) - auch nach Widerspruch der Klägerin - mit der Begründung ab, dass die Eintragung nicht auf einzelne Funktionen eines einheitlichen Hilfsmittels beschränkt werden könne, weshalb die Klägerin auch den medizinischen Nutzen für die zusätzliche „CAM-Therapie“ hätte nachweisen müssen. Ungeachtet dessen habe die Klägerin auf der Grundlage der bislang vorliegenden Unterlagen den Nachweis zur Einhaltung der indikations- und einsatzbezogenen Qualitätsanforderungen nicht geführt. Sie habe keine ausreichenden Nachweise (technische Unterlagen wie z.B. ein entsprechend gemessenes Geschwindigkeitsprofil) dazu erbracht, dass vor Erreichen des Umkehrpunktes die Geschwindigkeit der Bewegungsschiene automatisch reduziert und nach dem Umkehrpunkt kontinuierlich bis zum eingestellten Wert wieder erhöht werde. Darüber hinaus werde das Produkt laut Typenschild als „CPM-/CAM-Schiene“ deklariert und als CAM-Bewegungsschiene beworben (Bescheid vom 4. Dezember 2015; Widerspruchsbescheid vom 4. August 2016).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Antrag sei ausschließlich auf die Funktion des Geräts als passive Bewegungsschiene gerichtet, weshalb es auf den Nachweis des medizinischen Nutzens für die zusätzliche CAM-Therapie nicht ankommen könne. Soweit der Beklagte Nutzennachweise für die CAM-Funktion der Bewegungsschiene verlange, gehe er fehl, da diese Funktion nicht Gegenstand der Prüfung nach § 139 Absatz 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sei. Das in Rede stehende Produkt könne mit der elektronischen Steuerung (Chipka...