Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Beitragserstattungsanspruch. von Unternehmer nicht zu vertretene Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse. rückwirkende Aufhebung des Veranlagungsbescheids. Einrede der Verjährung. Verjährungsbeginn. unzulässige Rechtsausübung
Orientierungssatz
1. Anders als etwa § 44 Abs 1 S 2 SGB 10, welcher eine Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte nur für den Fall vorsätzlich unrichtiger oder unvollständiger Angaben ausschließt, betont § 160 Abs 2 Nr 2 SGB 7 mit dem gesetzlich Merkmal “nicht zu vertreten„ die Mitverantwortung des Unternehmers für eine Übereinstimmung von Veranlagung und materieller Rechtslage und belastet ihn und nicht die Solidargemeinschaft mit den Folgen eigener Nachlässigkeit.
2. Die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse hat der Unternehmer nicht zu vertreten, wenn er richtige und vollständige Angaben gemacht hat und es zu einer Fehlbeurteilung des Unfallversicherungsträgers gekommen ist.
3. Zum Beginn der Verjährung gemäß § 27 Abs 2 S 1 SGB 4 und zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Erhebung der Verjährungseinrede gegen die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichteten Beiträgen eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 wie folgt geändert: Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheids vom 30. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 verpflichtet, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für die Jahre 1996 bis 2001 zur Gefahrtarifstelle 07 (Saunabetriebe) zu veranlagen und die Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 07 neu festzusetzen, und verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 31.045,71 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt gegenüber der Beklagten die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Mit Formschreiben vom 01. November 1988 teilte die Klägerin der Beklagten unter Streichung bzw. Berichtigung der von der Beklagten voreingetragenen Unternehmen “a) Medizinischer Badebetrieb„ und “b) Restaurant„ mit, dass ihr Unternehmen in einem “Sauna + Badebetrieb„ besteht. Seit dem Umlagejahr 1996 führte die Beklagte zur Beitragserhebung einen gewerbezweigorientierten Gefahrtarif ein. Sie veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom 28. Juni 1996 gemäß dem sog. Ersten Gefahrtarif ab Januar 1996 zur Gefahrtarifstelle 08 (Masseure, medizinische Bademeister, Kurbäder; Strukturschlüssel 5000) mit der Gefahrklasse 7,50 und mit Bescheid vom 03. Juli 2001 gemäß dem sog. Zweiten Gefahrtarif ab Januar 2001 zur gleichen Gefahrtarifstelle nun mit der Gefahrklasse 6,80. Weder gegen die Veranlagungsbescheide noch gegen die Beitragsbescheide (vgl. etwa Bescheid vom 19. April 2002) erhob die Klägerin Widerspruch; sie führte die Beiträge, wie festgesetzt, ab.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten u.a. die Überprüfung der Bescheide der vorangegangenen Jahre, weil ihr aufgefallen sei, dass sie als Kurbetrieb mit Bademeistern und Masseuren angemeldet worden sei, obwohl es sich hier aber um einen Saunabetrieb handele. Ferner beantragte sie die Beitragserstattung der Vorjahre.
Die Beklagte veranlagte die Klägerin mit Bescheiden vom 05. Februar 2007 nach dem ab dem 01. Januar 2007 geltenden sog. Dritten Gefahrtarif (Masseure, medizinische Bademeister; Strukturschlüssel 5000) für Januar 2007 zur Gefahrtarifstelle 08, nun allerdings mit der Gefahrklasse 6,50, und ab Februar 2007 zur Gefahrtarifstelle 07 (Saunabetriebe; Strukturschlüssel 6000) mit der Gefahrklasse 3,50. Die Klägerin erhob unter dem 01. März 2007 Widerspruch und hielt im Übrigen an ihrem Überprüfungsantrag fest. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30. Mai 2007 ab und veranlagte die Klägerin nun bereits ab Januar 2007 zur Gefahrtarifstelle 07. Des Weiteren teilte sie mit, dass die Veranlagung nach dem Ersten und Zweiten Gefahrtarif rückwirkend zu ändern ist und die Beitragsbescheide “innerhalb des Verjährungszeitraums nach § 27 Abs. 2 SGB VI zu berichtigen„ sind. Die berichtigten Beitragsbescheide würden in Kürze zugeschickt. Mit Bescheiden von 14. Juni 2007 veranlagte die Beklagte die Klägerin nach dem Zweiten Gefahrtarif ab Januar 2002 zur Gefahrtarifstelle 07 und setzte die Beiträge von Januar 2002 bis Dezember 2006 nach der Gefahrklasse 3,40 neu fest. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag von insgesamt 16.416,21 €.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2007 wandte sich die Klägerin dageg...