Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeldanspruch. Versäumung der Ausschlussfrist. Nachfrist. Unkenntnis des Insolvenzereignisses. gutgläubige Weiterarbeit. zu vertretende Fahrlässigkeit. erforderliche Sorgfalt. Durchsetzung der Ansprüche. Aushändigung des Formulars zur Forderungsanmeldung durch Insolvenzverwalter
Leitsatz (amtlich)
Zum Verschulden bei der Nachfrist iSd § 324 Abs 3 S 2 SGB 3 hinsichtlich eines Insg-Antrages.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg).
Die 1975 geborene Klägerin stand seit dem 1. Juni 2005 in einem Arbeitsverhältnis bei der A, über dessen Vermögen beim Amtsgericht Charlottenburg (AG) aufgrund des Antrags vom 15. November 2010 am 1. Januar 2011 das Insolvenz(Ins)-Verfahren eröffnet wurde (Az.: 36a Ins 121/10). Der Geschäftsbetrieb wurde unverändert fortgeführt. Die Arbeitnehmer wurden in einer Betriebsversammlung vom 17. November 2010 durch den Ins-Verwalter, Rechtsanwalt V-S (fortan: V-S) über den Eigenantrag auf Eröffnung des Ins-Verfahrens unterrichtet. Es wurde ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingerichtet, der am 22. November 2010 tagte und an dem auch ein Vertreter der Beklagten sowie die Betriebsratsvorsitzende, Frau H J (fortan: H-J), mitwirkten. Die Gruppe 2 des Ausschusses wurde aus den Vertretern der Arbeitnehmerschaft gebildet.
Nachdem der Ins-Verwalter am 15. November 2010 den Antrag auf Zustimmung zur Vorfinanzierung der Entgeltansprüche der Arbeitnehmer bei der Beklagten gestellt hatte (§ 188 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ≪SGB III≫), sollten die offenen Entgeltansprüche der Arbeitnehmer für Oktober bis Dezember 2010 durch die S Bank (fortan: S Bank) nach § 188 Abs. 4 SGB III vorfinanziert werden. Die Beklagte teilte auf Anfrage des Ins-Verwalters mit, dass nach Prüfung von § 47 Abs. 3 neuer Text des Manteltarifvertrags BMT-A II die Sonderzuwendung (13. Monatsgehalt) nur anteilig (2/12) für November und Dezember 2010 und 1/12 für Januar 2011 (ausgehend von einer Ins-Eröffnung zum 1. Februar) gezahlt werden könne. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2010 erteilte die Beklagte ihre Zustimmung zur Vorfinanzierung der tatsächlichen Ins-Ansprüche der Arbeitnehmer (§§ 183 - 185 SGB III). Im Ins-Gutachten vom 29. Dezember 2010 wurde nach diesbezüglicher Korrespondenz des Ins-Verwalters mit der Beklagten aufgenommen, dass Lohnansprüche der Arbeitnehmer für November und Dezember 2010 bestünden, die mit Verfahrenseröffnung auf die Beklagte übergingen. Nicht über das Insg abgesichert seien 9/12 des Weihnachtsgeldes für 2010.
Mit Forderungskaufverträgen vom 17. November, 7./13. Dezember 2010 und 10./12. Januar 2011 verkaufte die Klägerin die noch offenen Arbeitsentgeltansprüche für November (1.795,58 €) und Dezember 2010 (2.070,82 €) sowie einen Teil der Jahressonderzuwendung (102,65 €) an die S Bank.
Der Ins-Verwalter informierte die Arbeitnehmer über die Ins-Eröffnung schriftlich unter Beifügung des Formulars zur Forderungsanmeldung, woraufhin zahlreiche Arbeitnehmer der A Anträge auf Gewährung von Insg innerhalb der Ausschlussfrist nach §§ 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 324 Abs. 3 S. 1 SGB III stellten.
Die Klägerin stellte am 28. März 2011 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Insg i.H.v. 9/12 der Sonderzuwendung von 85 % des Septembergehalts.
Mit Bescheid vom 6. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin, die geltend gemacht hatte, dass sie in Unkenntnis des Ins-Ereignisses weitergearbeitet habe und die Versäumung der Ausschlussfrist von ihr nicht verschuldet sei, als unbegründet zurück. Die Klägerin habe den Antrag auf Gewährung von Insg i.H.v. 9/12 der Sonderzuwendung nicht innerhalb der zweimonatigen, am 1. März 2011 endenden Ausschlussfrist nach Eröffnung des Ins-Verfahrens am 1. Januar 2011 (§§ 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 324 Abs. 3 S. 1 SGB III), sondern erst am 28. März 2011 gestellt. Eine Nachfrist könne nicht eingeräumt werden, weil sich die Klägerin nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht habe. Zu vertreten sei jede Fahrlässigkeit. Hierbei sei ihr die angebliche Unkenntnis des Ins-Verfahrens anzulasten, da sie sich bei einer sachkundigen Stelle wie Amtsgericht, Arbeitsgericht, Agentur für Arbeit hätte informieren können. Zudem seien nur 3/12 der Jahressonderzahlung zu berücksichtigen, die der Klägerin bereits im Rahmen der Vorfinanzierung durch die S Bank gewährt worden seien.
Hiergegen hat die Klägerin am 20. Mai 2011 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und unter auszugsweiser Vorlage des Bundesmanteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der A vom 11. März 1997 (§§ 41-53 BMP-A) vorgetragen, dass es sich bei ihrem Anspruch nicht um eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit d...