Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Vereinbarung über Erstattungsbeträge. Rechtsstreit auf Aufhebung eines Schiedsspruches nach § 130b Abs 4 SGB 5. pharmazeutisches Unternehmen. Veräußerung der Vertriebsrechte an einem Arzneimittel. gesetzliche Prozessstandschaft. Anforderungen an einen Nutzenbewertungsbeschluss nach § 35a Abs 3 SGB 5

 

Leitsatz (amtlich)

1. Veräußert ein pharmazeutisches Unternehmen die Vertriebsrechte an einem Arzneimittel, liegt im Rechtsstreit auf Aufhebung eines Schiedsspruches nach § 130b Abs 4 SGB V ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft nach § 265 Abs 2 ZPO vor.

2. Ein Schiedsspruch nach § 130b Abs 4 SGB V ist aufzuheben, wenn der ihm zu Grunde liegende Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 35a Abs 3 SGB V rechtswidrig ist.

3. Zu den Anforderungen an einen Nutzenbewertungsbeschluss nach § 35a Abs 3 SGB V.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.03.2019; Aktenzeichen B 3 KR 2/18 R)

 

Tenor

Der Schiedsspruch der Beklagten vom 24. Juni 2014, ausgefertigt am 10. Juli 2014, wird aufgehoben.

Die Beklagte, der Beigeladene zu 1) und der Beigeladene zu 3) haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen und wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der Gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Sie brachte am 1. Mai 2013 das Arzneimittel Constella® 290 mg Hartkapseln mit dem Wirkstoff Linaclotid in Deutschland in den Verkehr.

Constella® ist gemäß Ziffer 4.1 der Fachinformation zugelassen zur symptomatischen Behandlung des mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms bei Obstipation (RDS-O) bei Erwachsenen.

Das RDS-O ist eine funktionelle Darmerkrankung. Es ist eine der häufigsten gastroenterologischen Erkrankungen mit einer geschätzten Prävalenz in den westlichen Industrieländern von bis zu 20 %. Es äußert sich in abdominalen Schmerzen, Änderung der Stuhlkonsistenz in Form der Obstipation, Krämpfen sowie Blähungen. Linaclotid ist als Guanylat-Zyklase-C-Rezeptoragonist das erste spezifische Arzneimittel, welches für die Dauertherapie zugelassen ist und eine Behandlung aller Symptome des RDS-O (Schmerzen, Obstipation, Krämpfe und Blähungen) ermöglichen soll.

Bereits vor der Zulassung hatte die Klägerin mit Schreiben vom 23. Juli 2012 beim Beigeladenen zu 3), dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), eine Beratung nach § 8 der Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung - AM-NutzenV vom 28. Dezember 2010 [BGBl. I S. 2324]) unter anderem zur Frage der zweckmäßigen Vergleichstherapie angefordert. Dessen Unterausschuss Arzneimittel hat in seiner Sitzung am 11. September 2012 die zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt. Das Beratungsgespräch fand am 13. September 2012 statt.

Mit Schreiben vom 28. September 2012 übersandte der Beigeladene zu 3) der Klägerin die Niederschrift. Auf die Frage der Klägerin, die Psychotherapie erfülle doch am besten alle Anforderungen an die Vergleichstherapie für die Nutzenbewertung von Linaclotid, antwortete der Beigeladene zu 3), die zweckmäßige Vergleichstherapie zur Behandlung des moderaten bis schweren Reizdarmsyndroms mit Obstipation bei Erwachsenen sei die Ernährungsumstellung entsprechend ärztlicher Beratung sowie die symptomorientierte Behandlung (Obstipation, Blähungen, Krämpfe, Schmerzen). Ernährungsbezogene Maßnahmen sollten an erster Stelle stehen. Auf die Frage nach der Erbringbarkeit der ärztlichen Beratung zur Ernährungsumstellung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung führte die Geschäftsstelle des Beigeladenen zu 3) aus, dass die entsprechende ärztliche Beratung über die Gebührenordnung abgerechnet werden könne und dass die Beratung konkret die Therapie der Erkrankung durch Ernährungsumstellung betreffe. Auf den Vorhalt der Klägerin, dass eine Ernährungsberatung bei den vom Anwendungsbereich umfassten Patienten mit moderatem bis schweren Reizdarmsyndrom üblicherweise bereits erfolgt sei und zu keiner ausreichenden Symptomkontrolle geführt habe, wies die Geschäftsstelle des Beigeladenen zu 3) darauf hin, dass dies aus dem Wortlaut des Anwendungsgebietes nicht hervorgehe. Möglich wäre dies z. B. durch die Einschränkung auf Patienten gewesen, bei denen durch Ernährungsumstellung keine ausreichende Symptomkontrolle erreicht worden sei. Zur Frage der Psychotherapie als zweckmäßiger Vergleichstherapie erläuterte die Geschäftsstelle des Beigeladenen zu 3) laut Niederschrift, Psychotherapie komme hier nicht als zweckmäßige Vergleichstherapie für das Anwendungsgebiet in Betracht, da hier zwar die symptomatische Behandlung, nicht aber die Beteiligung psychischer Faktoren genannt sei und somit die Beteiligung psychischer Faktoren nicht ohne zusätzliche Information als ge...

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