Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit eine aufhebenden Verwaltungsaktes mit dessen Bekanntgabe

 

Orientierungssatz

1. Nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB 10 wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Wird im Bescheid ein früherer Zeitpunkt für dessen Wirksamkeit benannt, so ist er rechtswidrig.

2. Die Rechtswidrigkeit führt zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Bescheides, weil eine Teilbarkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht ausgeschlossen ist.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2010 und der Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung Brandenburg vom 3. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 11. Juni 2010 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren in beiden Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der ehemals Beklagte () ihm das Merkzeichen H entzog.

Mit Bescheid vom 1. März 2005 hatte das Land B neben der Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 auch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzung für die Merkzeichen RF, GL und H festgestellt. Mit Bescheid vom 3. März 2010 hob das Land B den vorgenannten Bescheid ab dem 3. März 2010 hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H auf. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies es mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2010 zurück und führte zur Begründung aus, ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sei für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete. Bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit sei bei Beginn der Frühförderung in der Regel Hilflosigkeit bis zum Abschluss der Berufsausbildung bzw. des Studium festzustellen. Nachdem eine Bescheinigung vorliege, wonach der Kläger die berufliche Ausbildung zum Jungkoch am 12. Juli 2009 abgeschlossen habe, sei eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die die Änderung der Feststellung über das Vorliegen des Merkzeichens nötig mache. Als hilflos sei derjenige anzustehen, der in Folge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauert bedürfe. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.

Mit der am 1. Juli 2010 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, sein Alltag sei massiv von seinen mangelnden Lese- und Schreibkenntnissen geprägt. Seine Angelegenheiten würden durch seine Mutter erledigt, soweit es die GEZ, die Wehrpflichterfassung, Wahlen sowie die Deutsche Rentenversicherung betreffe. Seine Mutter erkläre ihm den Inhalt von Schreiben und fasse nach Absprache mit ihm die Antworten ab und sei beim Ausfüllen von Vordrucken behilflich. Auch im Alltag sei er aufgrund seines sprachlichen Defizits vielfach auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen. Sie müsse sämtliche Terminabsprachen regeln, ihn zu Ärzten begleiten und für ihn übersetzen. Die so belegten erheblichen Kommunikationsdefizite zeigten, dass er nicht in der Lage sei, im täglichen Leben ohne fremde Hilfe zu bestehen.

Im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 9. April 2013 die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug genommen. Das Urteil ist dem Kläger am 23. April 2013 zugestellt worden. Mit der hiergegen am 17. Mai 2013 erhobenen Berufung verfolgt er sein Begehren weiter und wiederholt hierzu sein Vorbringen aus erster Instanz. Nach einem Umzug des Klägers nach Berlin ist anstelle des ehemals Beklagten Land B das Land Berlin in das Verfahren als neuer Beklagter eingetreten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. April 2013 und den Bescheid des Landes Brandenburg vom 3. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden Fall handel...

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