Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Zahlungspflicht des Arbeitgebers bei unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung. Verwertbarkeit einer behördlichen Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
Im Wege der freien Beweiswürdigung kann das LSG eine behördliche Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern - Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) - ohne Weiteres verwerten.
Normenkette
AÜG § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 28e Abs. 1 S. 1, § 28f Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Neuruppin vom 15. November 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die beitragsrechtlichen Folgen der Beschäftigung britischer Arbeiter in den Jahren 1997 und 1998; die Klägerin wendet sich gegen die Forderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 373.586,80 DM zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 139.384,00 DM (insgesamt 512.970,80 DM = 262.277,81 Euro).
Gesellschafter der klagenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) sind der in England lebende britische Staatsbürger P M M sowie die N. M O. Zweck der Gesellschaft ist laut Gesellschaftsvertrag bzw. Gewerbeanmeldung die Maurertätigkeit bzw. Verklinkerung im Hochbau.
In den Jahren 1997 und 1998 übernahm die Klägerin Aufträge für Verklinkerungsarbeiten auf Baustellen in Brandenburg. Die Arbeiten wurden u. a. von britischen Arbeitskräften ausgeführt.
Am 25. September 1997 und am 14. Oktober 1997 kontrollierten Mitarbeiter der Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung bei dem Arbeitsamt Neuruppin zwei dieser Baustellen. Infolge dieser Kontrollen und einer am 29. Januar 1998 in den Geschäftsräumen der Klägerin durchgeführten Durchsuchung entstand der Eindruck steuer-, beitrags- und arbeitnehmerüberlassungsrechtlicher Unregelmäßigkeiten. Die Mitarbeiter des Arbeitsamtes gelangten zu der Auffassung, tatsächliche Arbeitgeberin der britischen Arbeitskräfte sei die Klägerin gewesen und nicht die von den Arbeitern bzw. P M M benannten britischen Firmen “W S Ltd.„ und “ E B Ltd.„, die Scheinfirmen seien und nur vorgeschoben, um die wirklichen Verhältnisse zu verdecken.
Das Arbeitsamt Neuruppin erließ am 15. Februar 1999 gegen P M M einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 Nr. 1a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Nach dem Ergebnis der Baustellenkontrollen und der Durchsuchung der Geschäftsräume seien im Jahr 1997 etwa 38 Arbeitnehmer von der Firma W entliehen worden, die insgesamt etwa 16.700 Stunden Arbeit verrichtet hätten, voll in den Betrieb der Klägerin eingegliedert gewesen seien und Weisungen nur von P M M erhalten hätten.
Ein entsprechendes Bußgeldverfahren gegen die Gesellschafterin O wurde wegen fehlenden Schuldnachweises eingestellt.
Das Amtsgericht Neuruppin (Az. 83 Cs 456/02 / 333 Js 25899/02) erließ gegen P M M am 12. November 2002 einen rechtskräftigen Strafbefehl wegen Lohnsteuerhinterziehungen in den Jahren 1997 und 1998 in Höhe von insgesamt 69.383,26 Euro. Die Lohnabrechnungen für die britischen Arbeitskräfte seien über ihn erfolgt. Mit den Scheinfirmen W S Ltd. und E B Ltd. habe der Eindruck erweckt werden sollen, dass es sich um Subunternehmen der Klägerin handele, die auf Werkvertragsbasis tätig geworden seien. Tatsächlich habe P M M unter dem Deckmantel einer Fremdleistung die Lohnsteuerpflicht umgangen, zumal er selbst als Direktor der beiden Scheinfirmen eingetragen gewesen sei. Entgegen seiner Verpflichtung habe er zudem keine Einkommenssteuererklärung eingereicht.
Bereits mit Bescheid vom 31. Juli 2001, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 2002, zog die Beklagte die Klägerin nach entsprechender Anhörung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom Januar 1997 bis zum Dezember 1998 in Höhe von 373.586,80 DM heran, zuzüglich Säumniszuschlägen für die Zeit bis 15. Februar 2001 in Höhe von 139.384,00 DM. Weder zur Firma W S Ltd. noch zur Firma E B Ltd. habe - entgegen den Behauptungen der Klägerin - eine Werkvertragsbeziehung bestanden. Vielmehr habe es sich um unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung gehandelt. Nach den Ermittlungen des Bundesamtes für Finanzen stehe fest, dass es sich bei beiden Firmen bloß um Domizilgesellschaften (Briefkastenfirmen) ohne eingerichteten Geschäftsbetrieb gehandelt habe. Zu bloßen Domizilgesellschaften könne kein Werkvertragsverhältnis bestehen. Es müsse auch bezweifelt werden, dass die Arbeitnehmer bei den britischen Firmen eingegliedert gewesen seien. Im Gegenteil sei eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin erwiesen: Diese habe die Lohnabrechnungen erstellt, die Löhne direkt ausgezahlt, das Baumaterial zur Verfügung gestellt und in der Person von P M M Arbeitsanweisungen gegeben. Nach den Regelungen des Arbeitnehmerüberla...